Millionen Hörer, kein Gesicht

Ein 16-jähriger Wülfrather ist mit seiner Elektromusik in die viralen Charts eingestiegen. Seine Identität hält der Autodidakt geheim.

Millionen Hörer, kein Gesicht
Foto: Ulrich Bangert

Wülfrath. Wenn es sein muss, dann ist Tom Schneider ein ganzes Orchester. Die moderne Computertechnik macht es möglich. Seit er elf Jahre alt ist, fasziniert den 16-Jährigen elektronische Musik und die Kunst, sie zu produzieren. „Ich habe mir alles selbst beigebracht“, berichtet der Wülfrather Gymnasiast. Zwei bis vier Stunden habe er seit Kindestagen täglich in sein Hobby investiert, allein um sich in die Profi-Software einzuarbeiten, die es braucht, um in der Szene mitspielen zu können.

Mittlerweile hat er mit seinem 19-jährigen Produzenten-Partner aus Bayern unter dem Namen „Unknown Brain“ (zu Deutsch: unbekanntes Gehirn) den ersten großen Durchbruch geschafft. Der Song „Superhero“ wurde vom Musiklabel „NoCopyrightSounds“ veröffentlicht. Mehr als eine Millionen Menschen haben sich das Lied auf Youtube schon angehört. Bei dem Musik-Streaming-Dienst Spotify steht der Titel derzeit auf Platz zehn der viralen Charts.

Vor 20 Jahren wäre Tom Schneider damit so etwas wie ein Newcomer-Star gewesen. Heute ist das anders. Gerade im elektronischen Bereich wird viel veröffentlicht — die Künstler treten in den Hintergrund. Für Tom Schneider kein Problem. Im Gegenteil: Er ist nur daran interessiert, die Marke „Unknown Brain“ bekannt zu machen. „Ich möchte groß rauskommen, ohne dass jemand meine Identität kennt“, sagt der Schüler. Das soll Interesse wecken. „Das ist ein Marketinginstrument“, sagt der Wülfrather, der in Wirklichkeit überhaupt gar nicht Tom Schneider heißt.

Marketing — der 16-Jährige hat schon verstanden, wie wichtig das ist. „Damit kenne ich mich aus, das ist ein großer Teil der Musik geworden“, sagt er. Auch das Wissen um Labels, digitale Vertriebswege und die Tricks, wie man sich richtig verkauft, hat sich der 16-Jährige selbst angeeignet. Die Veröffentlichung des Songs „Superhero“ wurde erst über die richtigen Kontakte möglich.

Auch die pflegt der Schüler hauptsächlich übers Internet. Per Videochat stellte er sich bei dem Musiklabel in London vor. Und seinen ebenfalls anonymen Projektpartner von „Unknown Brain“ hat er im echten Leben noch nie getroffen. „Wir sind aber jeden Tag in Kontakt über Whatsapp“, sagt der Musiker, der mit Gitarre und Klavier angefangen hat und sich dann in die elektronische Welt vorgearbeitet hat.

Sein großes Ziel ist es, einmal mit der Musik Geld verdienen zu können. „Das ist aber ziemlich schwer“, gibt er sich realistisch. Deshalb hat er sich schon einen Plan B ausgedacht. „Zur Absicherung möchte ich Marketing studieren.“

Ganz brotlos ist die Kunst aber nicht. Doch um CD-Verkäufe geht es auf dem Markt, den Tom Schneider angepeilt hat, schon lange nicht mehr. Eine Besonderheit der Musikfirma „NoCopyrightSounds“ ist es, dass die Lieder der Künstler frei von anderen verwendet werden dürfen. So profitierte Schneider, der sein Studio in seinem zweiten Wohnort Heiligenhaus hat, auch davon, dass die Youtube-Berühmtheit Lance Stewart das Lied „Superhero“ in einem seiner Videos im Hintergrund laufenließ. Das steigert die Zugriffe bei Spotify oder iTunes nach denen der 16-Jährige am Ende bezahlt wird. 33 Prozent der Einnahmen gehen aber an den Sänger Chris Linton, der dem Lied seine Stimme geliehen hat. Er ist das einzige Gesicht des Gesamtprodukts. Die kreativen Geister bleiben Phantome.

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