Autoren-Auszeichnung Eine Hommage an den Niederrhein

Feierlich wurde dem Autor Hermann-Josef Schüren am Sonntag der Niederrheinische Literaturpreis verliehen. Heute liest er aus dem preisgekrönten Werk „Junge Stiere“.

Autoren-Auszeichnung: Eine Hommage an den Niederrhein
Foto: Bischof

Krefeld. „Ich bin ganz geplättet gewesen und habe mich wahnsinnig gefreut“, sagte Hermann-Josef Schüren, Träger des Niederrheinischen Literaturpreises. Im September hatte die Jury ihre Entscheidung für 2016 bekanntgegeben. Schüren erhält den mit 10 000 Euro dotierten Preis für den Roman „Junge Stiere“, den er im vergangenen Jahr im Grenz-Echo-Verlag vorlegte.

Auf 272 Seiten erzählt er darin vom Erwachsenwerden Jakob Schoepmanns — eine Geschichte aus den 60er-Jahren. „Mit ,Junge Stiere’ kehre ich literarisch an den Niederrhein zurück“, sagt Schüren. „Dieses Buch pflegt die Erinnerungskultur.“ Wichtig ist ihm die Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Irgendwo am Niederrhein wächst Jakob als vierter von fünf Jungen auf einem Bauernhof auf. Die Figuren in den Episoden des Romans sind erdacht, zumal in ihrer Aufstellung in der Provinz. Die beschreibenden Elemente allerdings hat Schüren auch aus eigener Erinnerung beigetragen.

Den Titel schmückt ein Foto von fünf Brüdern. Einer in Kleinkindkleidung, die vier anderen in feschen kurzen Lederhosen mit typischen Hosenträgern. Es zeigt den Autor mit seinen Brüdern. „Sie waren von der Lektüre geschockt“, sagt Schüren. Die Sicht auf die Erinnerungen sei wie die Fotografie eines unaufgeräumten Zimmers: Die Unordnung sieht man erst auf Fotopapier, die Vergangenheit erst beim Guss in Literatur. Die ist dem Lehrer Hermann-Josef Schüren vortrefflich gelungen.

Der kleine Junge Jakob besucht mit dem Vater die Mutter und den neugeborenen Bruder im Krankenhaus. Danach fahren sie nach Hause: „Mama war die Seele des Hauses und fehlte an allen Ecken und Enden“, heißt es da. Das fühlt man als Kind und kann es als Erwachsener zum Ausdruck bringen. Genau dies ist auch Thema des Buches: Jakob fühlt sich fehl am Platz, falsch in der Welt — und rettet sich mit dem Formulieren aus dem Unglücklichsein.

Frank Meyer Oberbürgermeister

Die Härte der Menschen, ihr Unvermögen, sich mit der Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen, die Allmacht der katholischen Kirche in der bäuerlichen Gesellschaft erinnern an die Lebensberichte Ulla Hahns. Auch sie setzt ihre Figur Hilla in Selbsterinnertes.

Bei Hermann-Josef Schüren allerdings schwingt immer ein positiver Grundton mit. Jakob entscheidet sich am Ende für den Weg in ein Internat, für die Bildung und für die Aufklärung. Auch hat er sich auf unausgesprochene Weise mit seinem Vater versöhnt.

Die Szenen und Episoden fächern ein ganzes Jungenleben auf dem Lande auf: Tierliebe und -hass, Knechte und Arbeiter, Schützenfeste und vergessliche Großeltern, skurrile Verwandte und Dorftrottel, die gar keine sind, eine besorgt-liebevolle Mutter, ein distanzierter und schweigsamer Vater. Unsentimental, verständnisvoll, kindheitsängstlich und lebensfroh schildert er seine Personnage und sein Erleben. Und wie Schüren fein die ersten erotischen Erfahrungen Jakobs zum Ausdruck bringt, das hat Fontanesche Qualität. Die Jury traf eine ausgezeichnete Wahl.

Der Niederrheinische Literaturpreis wurde am Sonntag feierlich im Rathaus überreicht. Oberbürgermeister Frank Meyers Hochachtung für den Preisträger wird in seinem Grußwort deutlich. „Aus einem gut recherchierten, lebendig geschriebenen Roman entsteht manchmal das Gefühl, dass wir eine bestimmte Epoche der Vergangenheit tatsächlich nacherleben können: Seite für Seite, Kapitel für Kapitel wächst vor unserem geistigen Auge das Bild einer Welt, die so oder ähnlich das Zuhause unserer Vorfahren war. Dieses Gefühl gehört zu den größten Geschenken, die Literatur für uns bereithält.“

Meyer zeigt sich fasziniert von der literarisch verarbeiteten Kindheit, „die mit Ganztagsbetreuung, pädagogischen Elternratgebern und Chinesisch-Kursen im Kindergarten rein gar nichts zu tun hat. Es ist eine Kindheit der schmutzigen Hosen, der aufgeschlagenen Knie und der Dummejungenstreiche“. Der Roman sei „ein deutsches, ein niederrheinisches Geschichtsbuch im besten Sinne“. In Jakobs Abenteuern und Erlebnissen spiegelten sich die Nachkriegszeit, die Schatten des Nationalsozialismus, der heilige Ernst des Katholizismus, der beginnende Aufbruch der rebellischen 60er-Jahre, das Ende der traditionellen Landwirtschaft, die Auflösung dörflicher Strukturen, sagt Meyer. „Dieses Buch ist so tief am Niederrhein verwurzelt, dass wir es zur Pflichtlektüre für alle erklären sollten, die sich für unseren Landstrich interessieren.“

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