Analyse Ehemalige Heimkinder kämpfen um Anerkennung

Mönchengladbach · Analyse Die bisherige Aufarbeitung von Missbrauch, Gewalt und  Willkür ist für die damaligen Opfer längst nicht ausreichend.

 Sie streiten für die ehemaligen Heimkinder: Barbara Kanne, Fachreferentin des Paritätischen, und Vereinsvorsitzender Uwe Werner.

Sie streiten für die ehemaligen Heimkinder: Barbara Kanne, Fachreferentin des Paritätischen, und Vereinsvorsitzender Uwe Werner.

Foto: Ekkehard Rüger

Von allen Kindern, die Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt wurden, sind die ehemaligen Heimkinder der Nachkriegzeit die mit der schwächsten Lobby. Das hängt auch damit zusammen, dass Bildungschancen während der Heimzeit massiv behindert wurden und Kinder aus Einrichtungen der Behindertenhilfe oft nur schwer in der Lage sind, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten. Doch zehn Jahre nach Beginn der offiziellen Aufar­beitung regt sich massive Kritik an den bisherigen Ergebnissen.

Für Heimkinder aus Einrichtungen der Jugendhilfe besteht schon seit Ende 2014 keine Chance mehr, an Entschädigungszahlungen zu kommen. Damals endete die Antragsfrist beim Fonds Heimerziehung. Der Fonds stand mehrfach in der Kritik: weil er die Kinder und Jugendlichen aus Behindertenheimen und psychiatrischen Einrichtungen nicht berücksichtigte; weil nur Summen bis maximal 10 000 Euro pro Person ausgezahlt wurden; weil die Anträge kompliziert waren und die Empfänger im Anschluss noch genaue Verwendungsnachweise vorlegen mussten.

Uwe Werner beispielsweise musste sich gerichtlich gegen Rückzahlungsforderungen wehren, weil er 6000 Euro des Fonds in seine ehrenamtliche Arbeit für den Verein „1. Community – Ehemalige Heimkinder NRW“ steckte, der Betroffene berät und ihnen bei der Antragstellung hilft.  Der heute 66-Jährige aus Mönchengladbach hat selbst in den 50er und 60er Jahren traumatische Erlebnisse mit Schlägen, sexuellem Missbrauch und illegaler Kinderarbeit in kirchlichen Heimen in Bochum und Ostwestfalen gemacht und kümmert sich heute als Vereinsvorsitzender um Leidensgenossen in Nordrhein-Westfalen.

Betroffene wollen sich
stärker Gehör verschaffen

Mit einem Fachtag in Mönchengladbach in Kooperation mit dem Paritätischen wollten die Betroffenen am Mittwoch erreichen, dass endlich mehr mit ihnen statt über sie geredet wird. Mit dabei: der Berliner Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Manfred Kappeler, dessen Forschungsarbeiten mitentscheidend waren für die Aufdeckung der Heimskandale, und Nordrhein-Westfalens Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz.

Denn über der bisher erfolgten Aufarbeitung lastet der Vorwurf, dass Bund, Länder und Kirchen als damals Verantwortliche den Umgang mit den Missständen bestimmt und kanalisiert haben. Schon die Trennung in Heimkinder der Jugendhilfe und der Behindertenhilfe sei von vornherein „vollkommen irrelevant“ gewesen, sagt Barbara Kanne, beim Paritätischen Fachreferentin für Psychosoziale Beratung und Opferhilfe. „Denn die Kinder wurden je nach Bedarf willkürlich hin- und hergeschoben und oft als behindert eingestuft, obwohl sie es gar nicht waren.“

Kanne fordert vom Staat und den Kirchen die Anerkennung des von den Kindern erlittenen Leids als Menschenrechtsverletzung. „Und wir wollen, dass die Diskussion um eine  Grundrente wieder aufgenommen wird.“ Die Einmalzahlungen würden dem erlittenen Verlust an Lebenschancen in keiner Weise gerecht. Dass mit Mitteln der nachträglich für die behinderten Heimkinder eingerichteten Stiftung Anerkennung und Hilfe auch Beratungsstellen bei den Landschaftsverbänden finanziert werden sollen, hält sie für ein Unding. „Das Geld gehört den Betroffenen.“

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