Obdachlose in der Nazizeit - verfolgt und ermordet

Nur wenige Biografien von Düsseldorfer Obdachlosen während der Nazizeit lassen sich ausfindig machen. Sie wurden verfolgt, deportiert, ermordet. Die Mahn- und Gedenkstätte widmet sich den Schicksalen dieser vergessenen Menschen in drei Sonderausstellungen.

Obdachlose in der Nazizeit - verfolgt und ermordet
Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Düsseldorf. Über „Et Blömke“ ist nicht viel bekannt. Auf dem Carlsplatz soll er selbstgepflückte Feldblumen verkauft oder verschenkt haben. Für einen festen Wohnsitz reichte sein Budget nicht, deswegen schlief er mal hier und mal dort. Der Düsseldorfer Erzähler Hans Müller-Schlösser hat ihn 1936 in einer seiner Geschichten erwähnt und herablassend ein „seltsames Geschöpf“ genannt. Die leichtfertige Beschreibung ist Sinnbild für eine Namenlosigkeit, die in letzter Konsequenz Menschen wie „Et Blömke“ die Identität aberkennt und ihr Menschsein in Frage stellt. Den Nationalsozialisten war dies nur recht.

Obdachlose in der Nazizeit - verfolgt und ermordet
Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

„Wir wissen nicht, was aus dem Blumenverkäufer geworden ist“, sagt Andrea Kramp. Sie gehört zum Kuratorenteam der Mahn- und Gedenkstätte, die sich aktuell dem Thema Obdachlosigkeit in Nazideutschland widmet. Bastian Fleermann, Leiter der Gedenkstätte, forscht über die Kriminalpolizei im nationalsozialistischen Düsseldorf und stößt immer wieder auf Verhaftungen, Deportationen und Ermordungen von Bettlern: Männern wie Frauen und auch Kindern. Allesamt eine vergessene Gruppe Nazi-Opfer ohne Lobby. Fleermann fand, man müsse diese Menschen und ihr Schicksal in den Blick nehmen, und so wurden drei Sonderausstellungen (bis 14. 1. 2018) daraus.

Obdachlose in der Nazizeit - verfolgt und ermordet
Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Ausgangspunkt ist das Jahr 1933: Bei einer Razzia werden Menschen ohne Obdach festgenommen. Sie hängen vom Wohlwollen ihrer Mitmenschen ab. Übernachten in Armenhäusern, betteln, begehen kleinere Diebstähle. Viele fristen ihr Dasein auf dem Heinefeld in Golzheim, einem Sammelsurium von Verschlägen und Baracken, die nicht vor Feuchtigkeit und nicht vor Kälte schützen. Düsseldorfer sprechen vom „Heinefeld“ als der „wilden Siedlung“ — ein Euphemismus für die slumähnlichen Zustände, die dort herrschen. Seit der Verhaftungswelle im Jahr 1933 hat, wer dem Raster der arbeitswilligen und angepassten Volksgenossen nicht entspricht, keine ruhige Minute mehr. Armen Menschen werden Beschäftigungsmaßnahmen verordnet, wird „angeborener Schwachsinn“ angedichtet, Suchtkranke gelten als „nicht lebenswert“.

Der Wohnungslose Peter Muckel erlebt diese schlimme Zeit in Oberkassel, er steht Studenten der Kunstakademie Modell, um sich etwas zu verdienen. Er ist beliebt. Dann verschwindet er von heute auf morgen, man hat ihn in die Psychiatrie in Grafenberg eingewiesen, wo gemäß dem „Schutz der deutschen Rasse“ Menschen wie Peter Muckel und „Et Blömke“ sterilisiert werden. „Wir müssen ein gesundes Volk besitzen, um uns in der Welt durchzusetzen.“ In dem eiskalten Pragmatismus von Propagandaminister Josef Goebbels steckt die gesamte Obszönität des Nazi-Systems.

Was Peter Muckel in Grafenberg widerfährt, ist nicht bekannt. Eines Tages taucht er wieder in Oberkassel auf, muss sich von nun an jedoch fortwährend vor den Nazis verstecken. 1943 stirbt er in einem Keller in der Cheruskerstraße im Alter von 71 Jahren. Das Filmkunstkino „Muggel“ an der Dominikanerstraße, gleich um die Ecke, ist nach Peter Muckel benannt.

Nur wenige Biografien von Düsseldorfer Obdachlosen während der Nazizeit lassen sich ausfindig machen. „Es war schwierig, die namenlosen Opfer zu finden“, sagt Andrea Kramp. „Bei den Tätern ist das einfacher.“

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