Stefan Holm: „Shakespeare ist Sprache, Blut und Sex“

Intendant Staffan Holm glaubt fest an die Kraft des Theaters. Sein Hamlet ist ein Zweifler und hört heimlich Punkmusik.

Düsseldorf. Herr Holm, sind Sie sicher, dass sich am nächsten Freitag der Vorhang im Großen Haus öffnet?

Staffan Holm: Ja, die Bauarbeiter strahlen in dieser Hinsicht mehr Zuversicht aus als in den letzten Wochen. Man merkt schon, dass die Akustik viel besser ist als vorher. Allerdings wird, während wir proben, kräftig gehämmert. Ich flippe ab und zu aus und suche den, der dafür verantwortlich ist.

Sie sagen, Shakespeare ist Ihr Lieblingsautor. Warum haben Sie sich den Hamlet ausgesucht?

Holm: Ich muss ja mit etwas beginnen, das dem Start einer Intendanz und der Wiedereröffnung des Großen Hauses standhält. Etwas, das genug Selbstvertrauen hat. Ich mache mir keine Illusionen, dass ich die ultimative Interpretation liefere, aber ich habe viele neue Dinge entdeckt.

Welche?

Holm: Ich habe mir die eigentlich sehr einfache Frage gestellt, warum Laertes im Kampf mit Hamlet verliert. Er ist klar der beste Fechter, und er weiß im Gegensatz zu Hamlet, dass das vermeintlich harmlose Kräftemessen ein tödliches Spiel ist. Die Lösung ist: Laertes ist die Verdoppelung von Hamlets ethischem Problem, nicht töten zu können. Claudius, den Mörder seines Vaters, nicht töten zu können. Ich habe schon zweimal Hamlet inszeniert, aber das habe ich nicht gesehen. Und darin ist Shakespeare ungeschlagen: dass man in der Tat anfängt zu reflektieren. Sich die Frage stellt: Was folgt aus meinem Handeln?

Hamlet ist auch ein Stück über das Theater. Hamlet selbst liefert die Definition: „Der Natur gleichsam den Spiegel vorhalten“. Welches ist Ihre Auffassung von Theater?

Holm: Theater ist genau das, was das Theaterstück in Hamlet beschreibt, und Hamlet sagt es selbst: Dieser Schauspieler kann alles ausdrücken, was ich nicht ausdrücken kann. Das Theater ist ein Spielplatz, auf dem man sich selbst verstehen kann.

Im Hamlet hat Claudius seinen Bruder umgebracht, um König zu werden. Offenbar wird das durch ein Stück im Stück — das Theater ist also für Shakespeare ein Medium der Wahrheitsfindung. Hat Theater heute noch diese Kraft?

Holm: Ja. Das klingt vielleicht naiv, aber ohne diesen Glauben, ist es für mich ganz sinnlos, am Theater zu arbeiten.

Wenn Sie Shakespeare die Feder führen dürften, welches Thema würden Sie für das Stück im Stück wählen? Was ist das Übel unserer Zeit?

Holm: Man kann nicht alles übersetzen. Ich denke an das, was Heiner Müller gesagt hat: Shakespeare ist eine Bluttransfusion. Man muss dieses Blut in sich gießen und schauen, was passiert.

Was bedeutet Shakespeare heute?

Holm: Es ist schwierig, das im Vorfeld zu definieren. Ich versuche während meiner Arbeit diese Frage zu stellen, zusammen mit meinen Leuten. Wenn ich die Antwort selbst hätte, gäbe es keinen Grund, die Aufführung zu machen. Mit Shakespeare ist es außerdem so: Er ist ein sehr schlechter Dramatiker, seine Plots (Konstruktion der Geschichte) sind schlecht. Als Dramatiker sind Lessing und Schiller Shakespeare deutlich überlegen. Shakespeare, das ist Sprache. Und Blut und Sex.

Können Sie Hamlet in drei Sätzen charakterisieren?

Holm: Dazu gibt es Geschichten aus unseren Tagen, die mich inspirieren. Es gab in den 70er und 80er Jahren eine sehr bekannte dänische Punkrockband, Sort Sol. Der heutige dänische Kronprinz hat sich aus dem Palast geschlichen und ist zum Konzert gegangen. Um diese Musik zu hören. Wir werden Sort Sol auch in der Inszenierung spielen.

Kann Hamlet für junge Menschen von heute interessant sein? Hat er nicht mehr Charakter als das, was in dem Klischee vom Melancholiker transportiert wird?

Holm: Es gibt viele Hamlets. Einer ist der Melancholiker. Eine andere Deutung aus den 70er Jahren fokussiert den politischen Hamlet. Das ist meiner Meinung nach ganz falsch. Ich habe die Sätze über den Krieg Norwegen/Polen gestrichen. Das braucht niemand. Die Illusions- und die Identitätsebene sind für mich wichtig. Der erste Satz der Tragödie lautet: „Who is there?“ Hamlet ist ein Zweifler. Und er ist manchmal unerträglich misogyn (frauenfeindlich), mit Ophelia und seiner Mutter. Seine Schwachheit interpretiert er immer als ein weibliches Ding. Er ist außerdem unerträglich moralistisch. Er sagt zu seiner Mutter: Du bist zu alt, um eine Sexualität zu haben.

Auch heute fühlen sich Söhne von ihren Müttern verraten, wenn diese einen neuen Mann haben. Ein moderner Gedanke, der da im Hamlet steckt.

Holm: Es steckt da nicht nur darin, es steht wörtlich da. Eigentlich ist Hamlet ein Stück in drei Akten. Nach dieser letzten Szene im dritten Akt, als Hamlet versehentlich Polonius ermordet, kommt nicht mehr viel. Er kann einfach nicht den Richtigen töten. Und dann ist Hamlet auf nach England. Es gibt Hamlet ohne Hamlet.

Der dritte Akt endet mit dem Mord, aber auch mit einem Gespräch zwischen Hamlet und seiner Mutter Gertrud. Welche Rolle spielen die Frauen im Hamlet?

Holm: Für mich liegt ein starker Fokus auf den Frauen. Sie sind sich irgendwie ähnlich. Man kann viel mehr über Ophelia sagen als über Hamlet. Er redet am Anfang über Selbstmord, aber es ist Ophelia, die sich umbringt. Frauen haben in dieser patriarchalischen Struktur keine Chance.

Hamlet ist also eigentlich ein fieser Charakter?

Holm: Er ist hart. Zum Beispiel, wenn Horatio, sein Freund, am Ende des Stücks sagt, er möchte mit ihm sterben, verbietet Hamlet ihm das mit der Begründung: Du musst leben, um meine Geschichte zu erzählen. Das ist furchtbar, einem Freund so etwas zu sagen. Das Interessante ist, dass das Stück eigentlich erst am Ende anfängt, wenn Horatio zum Erzähler wird. Das ist das letzte Spiel mit der Illusionsebene.

Es gibt Inszenierungen, in denen Hamlet überlebt und den Thron besteigt. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ein neues Ende zu erfinden?

Holm: Ich habe einmal Claudius überleben lassen. Da war ich noch sehr jung. Ich werde in diesem Hamlet nichts Provokantes oder Verrücktes machen. Dazu bin ich zu alt.

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