Bühnenkultur in Tschechien: Aufruhr gegen das Establishment

Prag (dpa) - Die tschechischen Bühnen standen nach dem Tod des Dramatikers und Ex-Präsidenten Vaclav Havel vor gut einem Monat vor einem Dilemma. Sollten sie gemäß der verhängten Staatstrauer schließen oder zu Ehren des weltweit anerkannten Theaterautors den Vorhang öffnen?

Havels Hausbühne, das kleine Theater am Geländer, fand einen Kompromiss. Es spielte, aber nur das Stück Ceska Valka (übersetzt „Tschechischer Krieg“) des jungen Autors Miroslav Bambusek. Mit der Wahl dieses Dramas über den antikommunistischen Widerstand setzte es zugleich ein Zeichen, dass das Theater wieder politisch Stellung beziehen will - wie zu Havels Zeiten in den 1960er Jahren.

Das war lange Zeit nicht vorstellbar. Nach der demokratischen Wende von 1989 hatte sich eine Zufriedenheit breitgemacht, die bis vor wenigen Jahren andauerte. Die tschechischen Theaterleute seien nach der Wende eher konservativ und staatstragend orientiert gewesen, berichtet Ondrej Cerny, Intendant des Prager Nationaltheaters. Doch inzwischen habe sich eine ziemlich starke Abneigung gegen die gegenwärtige Führungselite entwickelt. „Es stellt sich eine normale Situation ein, dass sich die Intellektuellen und die Künstler gegen das Establishment stellen“, sagt Cerny in seinem Prager Büro mit Moldaublick.

Einer dieser jungen Autoren ist Miroslav Bambusek, der im Rollkragen-Pullover in der Bar des Theaters am Geländer sitzt. „Ich habe das Theater immer als einen Raum wahrgenommen, der gegenwärtige Themen reflektiert, die uns beeinflussen“, sagt er. Er rennt mit seinen Stücken gegen eingefahrene Denkmuster an und scheut auch den Konflikt nicht. 2005 brachte er ein Nachkriegsmassaker an Deutschen auf die Bühne. In einem Land, in dem eine klare Mehrheit die Atomenergie befürwortet, widmet er ein kritisches Stück dem Element Uran. Aufführungsort war der gigantische Militär-Bunker einer ehemaligen Luftabwehrzentrale.

Nun bringt der Provokateur mit „Tschechischer Krieg“ den gewaltsamen Widerstand gegen den Kommunismus auf die Theaterbretter. Im Mittelpunkt stehen Kämpfer wie die Masin-Brüder, die sich im Herbst 1953 den Weg in den Westen mit Waffengewalt frei schossen. Dabei kamen mehrere DDR-Volkspolizisten ums Leben. „Man braucht nur Brüder Masin zu sagen und allen stehen die Haare zu Berge“, meint Bambusek. Viele Tschechen halten die Brüder bis heute nicht für Widerstandskämpfer, sondern für kaltblütige Mörder. „Die Leute bei uns reflektieren überhaupt nicht, dass das kommunistische Regime Menschen am laufenden Band ermordet hat“, sagt dazu Bambusek.

Karel Steigerwald, dessen Stück „Ma vzdalena vlast“ (übersetzt „Meine ferne Heimat“) im Februar am Nationaltheater Premiere feiert, gehört anders als Bambusek zu den etablierten Publizisten und Dramatikern. Doch auch er spart nicht mit Kritik am Unwillen der Gesellschaft, sich bei den Opfern des Kommunismus zu entschuldigen. In dem Stück erhält eine Frau, die wegen angeblicher Fluchthilfe 15 Jahre zu Unrecht im Gefängnis verbrachte, ihr Haus zurück - einschließlich der seit der Enteignung weiterlaufenden Hypothek.

Es ist eine paradoxe Vorstellung. Den Einfluss des Absurden Theaters auf die Tschechen nennt der Autor dann auch „ungeheuer groß“. Steigerwald konnte während des Prager Frühlings die Stücke Vaclav Havels auf der Bühne sehen, bevor ihre Aufführung verboten wurde. „Wir empfanden die Stücke überhaupt nicht als absurd, sondern sie kamen uns wie ein realistischer Bericht über den Zustand der Gesellschaft vor.“ Heute fehle oft der Wille, sich der jüngsten Vergangenheit zu widmen. „Das Land ist ungeheuer frei, wie es das nie zuvor war. Die Regierungen sind hier wirklich machtlos und niemand hat vor ihnen Angst. Das Problem ist also kein politisches, sondern ein menschliches.“

Nicht immer stellt sich auch der Besuchererfolg ein. „Man muss den Dramatikern eine Chance geben, ihre Stücke auf die Bühne zu bringen“, sagt Nationaltheater-Intendant Cerny. Und auch Havels Dramen würden wieder an Aktualität gewinnen, wie beispielsweise „Das Gartenfest“, eine 1963 am Theater am Geländer uraufgeführte Satire auf die Behördensprache. „"Das Gartenfest" ist imstande, die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Kommunikationsprobleme zu benennen“, prophezeit Cerny.

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