Regisseur Christoph Roos: „Ich will keine Blutorgien“

Krefelder Regisseur Christoph Roos über Gewalt auf der Bühne und alberne Prügelszenen.

Krefeld. Herr Roos, Sie inszenieren „Experiment“ und „Roberto Zucco“ in Krefeld, dazwischen „Michael Kohlhaas“ in Essen. Ist das Zufall oder sind Sie fasziniert von Gewalttätern?

Christoph Roos: Zufall. Die Theater haben mir die Stoffe vorgeschlagen, ich würde mich da ungern festlegen lassen. Zumal in den Inszenierungen andere Themen viel wichtiger sind als die Gewalt.

Dennoch fällt die Gemeinsamkeit ins Auge. Was interessiert Sie am Thema Gewalt?

Roos: Zunächst einmal: Sie eins zu eins auf der Bühne darzustellen, interessiert mich nicht. Es geht mir darum, wie Gewalt entsteht, welche Folgen sie hat. Ich will keine Brutalität, keine Blutorgien, keine Special Effects.

Aus Rücksicht auf die Zuschauer?

Roos: Das geschieht aus Überzeugung. Ich persönlich kann mich nicht erinnern, dass mich explizite Gewaltdarstellung im Theater schon mal richtig berührt hat. Bei Filmen ist das anders: Eine Szene aus „Good Fellas“ hängt mir bis heute nach, das ist 20 Jahre her.

Das Kino hat mehr Möglichkeiten, Illusion zu erzeugen, aber auf der Bühne wirkt Gewalt doch viel direkter und unmittelbarer.

Roos: Das empfinde ich anders. Auf der Bühne ist die Gefahr der Lächerlichkeit viel größer.

Inwiefern?

Roos: Prügelszenen sind zum Beispiel ganz schwierig. Das kann schnell peinlich werden. Das gilt auch für Gewalt gegen Sachen: Da tritt jemand gegen eine Wand, und ein zuvor präparierter Stein fällt heraus. Das sieht so sehr nach Pappmaché aus, das kann ich nicht ernst nehmen.

Dennoch gibt es in Ihren Inszenierungen Gewalt, etwa den Genickbruch im „Kohlhaas“. Wie probt man solche Szenen?

Roos: Gewalt auf der Bühne ist im Grunde eine sehr handwerkliche Geschichte. Man muss das sehr nüchtern und technisch proben, damit niemand sich verletzt. Wo fasst man an, wie muss die Bewegung sein? So emotional die Szene auch ist — die Proben haben mit Emotion wenig zu tun.

In „Roberto Zucco“, auf dessen Premiere am 4. Februar Sie hinarbeiten, tötet ein junger Mann ohne Grund, ohne Motiv. Wie bekommt man so eine Figur zu packen?

Roos: Ich bin inzwischen nicht mehr überzeugt, dass Zucco ohne Grund tötet. Ich finde es interessant zu erforschen, was ihn treibt: eine Sehnsucht nach Freiheit, eine Form von Leidenschaft. Dabei kommt er einem näher, als man geglaubt hat — und vielleicht näher, als einem lieb ist.

Ein schmaler Grat hin zur Romantisierung und Verherrlichung.

Roos: Das ist wahr. Schon der Autor Bernard-Marie Koltès musste sich diesen Vorwurf gefallen lassen. Dennoch denke ich, dass wir uns der Figur zunächst ohne moralische Urteile nähern müssen. Wenn ich ihn als Regisseur vom ersten Moment an verteufelt hätte, könnte ich es auch gleich lassen. Man muss es aushalten können, dass der Mörder zeitweise zum Sympathieträger wird.

Und dann erschießt er ein Kind.

Roos: Genau. Ohne Grund ein wehrloses Kind zu erschießen, ist der Tabubruch. Vorher tötet Roberto Zucco ja „nur“ seine Eltern und einen Polizisten. Er sagt am Ende sogar: „Dass man seine Eltern umbringt, ist doch normal.“ Das könnte man als Loslösung vom Elternhaus interpretieren und den Mord somit als künstlerische Zuspitzung eines psychischen Vorgangs deuten. Und auf der Flucht ist der Polizist der Feind des Verbrechers, ein Mord könnte also als eine Art Panikreaktion verstanden werden, um der Verhaftung zu entgehen. Aber das mit dem Kind, das wirkt jeder Verherrlichung entgegen.

Gibt es bei Ihrer Inszenierung Einflüsse aus Filmen?

Roos: Ich habe eher in der Realität nach Parallelen gesucht, zum Beispiel den realen Mörder Roberto Succo oder die Geiselnahme von Gladbeck, die ja auch Koltès als Inspiration diente. Auch jugendliche Amokläufer sind interessant. Wie bei Zucco gibt es Gründe für solche Taten. Mörder fallen ja nicht vom Himmel.

Nicht jeder Zuschauer wird das so sehen können. Sind Sie auf Gegenwind eingerichtet?

Roos: Auf eine gewisse Kontroverse sind wir vorbereitet — dafür ist Theater ja auch da. Es geht aber nicht darum, bewusst zu provozieren. Dann hätte man einen anderen Regisseur holen müssen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort