Rudolf Brass - Krefelds fotografisches Gedächtnis

Rudolf und Christof Brass bauen im Internet ein riesiges Fotoarchiv auf — mit 180.000 Bildern.

Krefeld. Mal angenommen, man würde all die Negativstreifen aus ihren Filmdosen nehmen und sie aneinander legen, fein säuberlich die Straße entlang. Am Ende hätten sich rund 40 Jahre Krefelder Geschichte vor einem ausgebreitet. Nebenbei wäre man bei der Puzzlearbeit längst in Köln gelandet, wahlweise auch in Wuppertal.

60 Kilometer Film hat der Pressefotograf Rudolf Brass über die Jahre belichtet, schätzungsweise 1,5 Millionen Fotos, ein ganzes Berufsleben voller Eindrücke und Beobachtungen, voller Kunstausstellungen, Verkehrsunfälle und Schützenfeste. Sein Sohn Christof hat oft im Archiv seines Vaters gestöbert, halb fasziniert, halb ratlos, wie all die Schätze zu heben wären. Bis er schließlich beschloss, sie auszugraben, zu digitalisieren und ins Internet zu stellen. Auf einem Bein nach Wuppertal zu hüpfen, wäre deutlich leichter.

Auf den Servern seiner IT-Firma will Brass ein riesiges Archiv mit 180 000 Bildern aufbauen — Krefelds fotografisches Gedächtnis. „Meines Wissens hat keine andere Stadt etwas Vergleichbares“, sagt er. Seit einem Jahr arbeitet er an dem Mammutprojekt und geht heute erstmals online — mit einem Grundstock von über 26 000 Fotos von 1965 bis 2002.

Zielgruppe der Seite sind Verlage und Zeitungshäuser, Firmen, die ihre Vergangenheit darstellen möchten, aber auch Privatleute. „Jeder, der mit Krefeld verwachsen ist, wird hier Dinge wiederentdecken, vielleicht sogar sich selbst“, sagt Christof Brass. „Mein Vater muss über die Jahre zehntausende Menschen fotografiert haben.“ Für ein paar Euro kann man Bilder herunterladen oder Abzüge und Poster bestellen.

Doch die geschäftliche Seite interessiert den gelernten Schriftsetzer eher am Rande. „Wenn die Sache sich trägt, wäre es schön“, sagt er. Doch vor allem fasziniert ihn das Projekt als Zeitspiegel einer ganzen Stadt. Wöchentlich kommen 600 neue Fotos hinzu.

Dose für Dose knöpft sich Brass die Vergangenheit vor, per Hand wird jedes Negativ gereinigt und gescannt. „Der schönste Moment ist, wenn ich mir eine schmutzige Filmdose nehme und damit zur Spüle gehe. Das ist so, als öffnet man alte Kisten bei Oma auf dem Dachboden.“ Bei der anschließenden Auswahl der Bilder gilt eine einfache Faustregel: „Wenn Vater viel draufgedrückt hat, war es wichtig.“

Danach kommt jene Arbeit, die Brass als „Nadelöhr“ des Projekts bezeichnet — die Verschlagwortung. „Im Alltag blieb dafür ja gar keine Zeit“, erzählt Vater Rudolf Brass. „Ich war ständig unterwegs, überall mit der Nase dabei.“

Zum Glück hat der 76-Jährige ein gutes Gedächtnis: „An viele Dinge erinnere ich mich.“ Brass senior unterstützt das Projekt aus vollem Herzen, und sein Sohn lernt bei der gemeinsamen Arbeit viel über die Stadtgeschichte. „Wer ist der komische Mann, der so oft auf den Bildern ist“, fragte er einmal seinen Vater. Es war der damalige Oberbürgermeister.

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