Wenn chronisch kranke Kinder erwachsen werden

Frankfurt/Main (dpa) - Früher starben Jugendliche mit einer chronischen Krankheit oft schon vorm Erwachsenwerden. Heute werden Betroffene älter - und ihre Probleme komplexer. Ein junges Feld der Medizin bemüht sich um eine bessere Versorgung.

Wenn chronisch kranke Kinder erwachsen werden
Foto: dpa

Dass ihm die Samenleiter fehlen, hatte ihm der Kinderarzt nicht gesagt. Devrim Bulut hat Mukoviszidose. Und er wollte immer schon Kinder haben. Devrim, der in Wirklichkeit anders heißt, hätte sich gewünscht, dass ein Arzt früh genug sagt: Wenn Sie Zukunftspläne haben, wird das nicht so funktionieren, wie Sie sich das vorstellen. Wenn chronisch Kranke wie der heute 33-jährige Devrim erwachsen werden, sind die Ärzte dem nicht immer gewachsen.

Kinderärzte geben ihre Patienten, wenn diese 18 Jahre alt werden, in der Regel weiter an Erwachsenenärzte. Dann können Lücken bei Fragen entstehen, die bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie Asthma, Diabetes oder Mukoviszidose (CF) komplexer zu beantworten sind: zu Sexualität etwa, Berufswahl oder auch Kinderwunsch.

Oft kommen bei Erwachsenen zudem neue Komplikationen hinzu, Bluthochdruck, Diabetes, Osteoporose oder Gelenkerkrankungen zum Beispiel. Deshalb brauchen die Patienten eine andere Versorgung als in der Kindheit. Viele Pädiater seien überfordert, Erwachsenenärzte oft nicht ausreichend mit den seltenen Krankheiten vertraut, sagt Lungenarzt Carsten Schwarz vom CF-Zentrum der Berliner Charité.

Früher starben Patienten wie Devrim häufig, bevor sie erwachsen waren. Dem Bericht „Qualitätssicherung Mukoviszidose“ von 2011 zufolge ist die Lebenserwartung solcher Patienten enorm gestiegen: Vor rund 35 Jahren waren weniger als zwei Prozent von ihnen erwachsen, heute sind es etwas mehr als die Hälfte. Sie erreichten 2011 im Mittel das 40. Lebensjahr. Eine Umfrage des Projektes Mukoviszidose ergab, dass knapp 40 Prozent der erwachsenen CF-Patienten weiter in der Pädiatrie versorgt werden.

Den Wechsel zum Erwachsenenarzt nennt die Medizin Transition. Der Bedarf dafür sei da, sagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Michael Manns. „Die Pädiater kommen selbst auf uns Internisten zu. Sie wollen, dass die Bezugsperson wechselt.“ Transitionsmediziner plädieren dafür, dass sich Pädiater und Erwachsenenarzt zwei Jahre lang gemeinsam um den Patienten kümmern.

Erprobt wird das unter anderem am Christiane Herzog CF-Zentrum an der Frankfurter Uniklinik. Erwachsenenärzte sind hier Teil des Teams. Heranwachsende Patienten müssen so nicht plötzlich zu fremden Ärzten wechseln. Solche Strukturen sollten finanziell unterstützt werden, sagt Christina Smaczny, Oberärztin an der Frankfurter CF-Ambulanz. Aktuell überlebten die Zentren nur durch Spenden.

Smacznys hält es für sinnvoll, die Kosten als Vorsorge fest ins Programm der Krankenkassen aufzunehmen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, GKV, sieht das anders: „Diese Probleme löst man nicht durch mehr Geld, sondern durch eine bessere Kooperation der Ärzte untereinander“, teilt ein Sprecher mit.

Devrim war 16, als er zu einem Erwachsenenarzt geschickt wurde. „Es hieß einfach: Mach mal!“, erzählt er. Die Ärzte in der damaligen Frankfurter Erwachsenenambulanz kannten seinen Fall nicht. „Ich fühlte mich verloren, alles war fremd. Ich hätte gebraucht, dass mich einer an die Hand nimmt“, sagt Devrim.

Bis zu 98 Prozent der männlichen CF-Patienten sind unfruchtbar. Das sagte Devrim niemand, bis er mit 29 Jahren selbst nachfragte. „Das hat mich geärgert. Sonst hätte ich mich früher kundig machen können.“ Darüber, wie er trotz seiner Krankheit ein Kind zeugen kann. Inzwischen ist seine Frau schwanger, durch künstliche Befruchtung. Für das Paar kam in kurzer Zeit alles zusammen: Informieren, Tests, Hormonbehandlung, Befruchtung. „Das war sehr belastend.“

Die Erwachsenenmedizin folgt einem anderen Takt als die Pädiatrie. „Es geht alles viel schneller“, sagt die Berliner Kinder- und Jugendärztin Silvia Müther, die im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin ist. Den Jugendlichen falle es oft schwer, ohne ihre Eltern alleine die Verantwortung zu übernehmen. Der Weg zu einem flächendeckend besseren und strukturierterem Übergang sei aber noch lang.

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