DGB-Vorstand im Interview „Wir müssen beim Mindestlohn außerordentliche Schritte gehen“

Berlin · DGB-Vorstand Körzell fordert eine deutliche Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Er sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr.

 Wie hoch muss ein gesetzlicher Mindestlohn mindestens sein?

Wie hoch muss ein gesetzlicher Mindestlohn mindestens sein?

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

An diesem Dienstag kommt die neu berufene Mindestlohnkommission aus Spitzenvertretern von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie Wissenschaftlern zusammen, um über eine weitere Erhöhung der Lohnuntergrenze ab dem Jahr 2021 zu beraten. Ende Juni soll ein Vorschlag vorliegen. In der Vergangenheit wurden solche Festlegungen dann von der Bundesregierung für allgemeingültig erklärt. Über die Erwartungen der Gewerkschaften sprach unser Korrespondent Stefan Vetter mit DGB-Vorstand Stefan Körzell, der auch Kommissionsmitglied ist.

Herr Körzell, aus der Union kam kürzlich Kritik, die Mindestlohnkommission mache einen schlechten Job. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Stefan Körzell: Nein. Es gibt einen gesetzlichen Rahmen, in dem sich die Kommission bewegt hat. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Laumann, von dem die Kritik namentlich stammt, kann gern mit gutem Beispiel voran gehen und in seinem Bundesland einen Mindestlohn von zwölf Euro einführen, unterhalb dem es nicht zur Vergabe öffentlicher Aufträge kommen darf.

Die Gewerkschaften fordern eine flächendeckende Anhebung des Mindestlohns von derzeit 9,35 Euro auf zwölf Euro. In der Vergangenheit war die nachlaufende Tarifentwicklung für die Festlegung maßgebend. Warum soll das nicht mehr gelten?

 DGB-Vorstand Stefan Körzell tritt für einen höheren Mindestlohn ein.

DGB-Vorstand Stefan Körzell tritt für einen höheren Mindestlohn ein.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Körzell: Wir wollen diese Regelung nicht außer Kraft setzen. Tatsache ist aber, dass der Einstieg in den Mindestlohn vor fünf Jahren mit 8,50 Euro sehr niedrig war. Die Entwicklung danach war unbefriedigend. Wir brauchen jetzt einen außerordentlichen Sprung, sonst wird die Lücke zwischen der allgemeinen Lohnentwicklung und dem Mindestlohn immer größer. Erst im Anschluss soll die nachlaufende Tarifentwicklung wieder maßgebend sein.

Gehen Sie gleich mit der Zwölf-Euro-Forderung in die Verhandlungen?

Körzell: Wir werden in den Verhandlungen klar machen, dass wir den Mindestlohn hin zu einem armutsfesten Lohn entwickeln wollen. Das wären nach jetzigem Stand sogar 12,35 Euro.

Die Arbeitgeberseite kann aber eine sprunghafte Anhebung blockieren. Steigen die Gewerkschaften dann aus den Verhandlungen aus?

Körzell: Am Ende muss eine Entscheidung gefällt werden. Ich kann den Arbeitgebern nur raten, dass wir allein schon wegen der Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts außerordentliche Schritte beim Mindestlohn gehen müssen.

Wollen Sie die Spielregeln der Kommissionsarbeit ändern?

Körzell: Eine neu berufene Kommission gibt sich auch eine neue Geschäftsordnung. Wir wollen eine Geschäftsordnung, die dem Auftrag des Gesetzgebers nicht im Wege steht.

Was heißt das?

Körzell: Jetzt ist vorgesehen, dass die Kommission von der nachlaufenden Tarifentwicklung nur abweichen kann, wenn es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit gibt. Wir wollen, dass bei diesem Punkt die Stimme des Kommissionsvorsitzenden ausschlaggebend ist, wenn die jeweils drei Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter darüber nicht einig werden.

Könnte die Bundesregierung den Mindestlohn im Alleingang anheben?

Körzell: Ja, auch das ist möglich, wenn sich in der Kommission nichts tut. Großbritannien macht das übrigens vor. Dort wird zum zweiten Mal politisch eingegriffen. Die britische Regierung hat angekündigt, den Mindestlohn auf umgerechnet rund 12,20 Euro bis 2024 anzuheben. Eine vergleichbare Perspektive muss es auch für Deutschland geben. Dafür setzen wir uns in der Kommission ein. Denn wenn wir nur wie gehabt weiter anheben, dann kommt der Mindestlohn von zwölf Euro erst 2029 oder 2030.

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