Strafprozess Kameras sollen den Strafprozess dokumentieren

DÜSSELDORF · Gesetzesplan für lange geforderte Reform: Richter müssen bald keine Notizen mehr machen. Zuverlässige Urteilsgrundlage.

 Blick auf die Richterbank in einem Strafprozess. StGB steht für Strafgesetzbuch, StPO für Strafprozessordnung.

Blick auf die Richterbank in einem Strafprozess. StGB steht für Strafgesetzbuch, StPO für Strafprozessordnung.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Der Strafprozess zieht sich – über 10, 20, mal auch 50 Verhandlungstage oder mehr. Viele Zeugen werden vernommen. Was diese gesagt haben, das notieren die Richter auf ihren Schreibblöcken. Nicht wörtlich, dem Sinn gemäß. Und wenn sie das Urteil sprechen, so stützen sie sich auf ihre Notizen. Da können Verteidiger oder Staatsanwalt noch so darauf pochen, sie hätten sich anderes notiert, die Aussage habe einen ganz anderen Inhalt gehabt.

Das klingt nach einem Einfallstor für ungerechte Urteile. Und es erstaunt – angesichts der heutigen Aufzeichnungstechniken, die in anderen Ländern längst genutzt werden.

Die Vorteile der Neuregelung

Der Deutsche Anwalt-Verein kritisiert schon seit langem: „Dass eine Dokumentation des Strafprozesses in Deutschland heute noch immer dergestalt stattfindet, dass der Richter handschriftlich Notizen anfertigt, wirkt nicht nur für juristische Laien vollkommen aus der Zeit gefallen. Eine objektive, allen Beteiligten zugängliche Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme gibt es nicht: Ein Wortprotokoll sucht man vergebens, eine abspielbare Aufzeichnung erst recht – im europäischen Vergleich ist das eine Ausnahmeerscheinung der negativen Art.“

Dabei lägen doch, so sagt die Interessenvertretung der Anwälte, die Vorteile einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung auf der Hand: Der Prozess der Wahrheitsfindung würde nicht nur transparenter, sondern auch für das Gericht einfacher, da etwa die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung von Zeugenaussagen leichter überprüfbar wären. Richter und andere Verfahrensbeteiligte könnten sich besser aufs Zuhören konzentrieren, wenn sie nicht gleichzeitig mitschreiben müssen. Rechtsfehler (wichtig für die Revision) würden leichter ersichtlich und nachweisbar. Und: Durch die Dokumentation könnten zeitaufwändige Doppelprozesse bei Richterwechseln – aufgrund von Elternzeit, längerer Krankheit oder Pensionierung – vermieden werden.

Wie gesagt, die Kritik ist alt. Doch jetzt bewegt sich was. Nach langen Expertenbefragungen schon unter seiner Amtsvorgängerin Christine Lamprecht ist im nun von Marco Buschmann (FDP) geführten Bundesjustizministerium ein Gesetzentwurf entstanden, der das ändern soll. Es geht dabei nicht etwa darum, dass Strafprozesse, wie wir das aus den USA kennen, live im Fernsehen oder im Internet übertragen werden. Die Idee ist, dass sich  alle Verfahrensbeteiligten auf das Geschehen im Gerichtssaal konzentrieren können. Und eine objektive und transparente Grundlage für die Vorbereitung  ihrer Plädoyers beziehungsweise das Urteil bekommen.

Die Bedenken

Doch warum dauert es so lange? Warum ist eine doch so offensichtlich der Wahrheitsfindung dienende Reform nicht längst Realität? Es gibt durchaus ernstzunehmende Einwände: Da sind die Persönlichkeitsrechte der gefilmten Prozessteilnehmer. Und die Befürchtung, dass die Anwesenheit der Kameras das Aussageverhalten der Zeugen verändern, vielleicht manch einen die Aussage verweigern lassen. Und was ist, wenn die Bildaufnahmen in die Öffentlichkeit, in die sozialen Netzwerke geraten? Was kostet das alles? Schließlich: Richterinnen und Richter könnten abgeneigt sein, weil das Prozessmaterial, das sie ihrer Entscheidung zugrunde legen, massiv anschwillt und so ihre Arbeit erschwert.

Und dann gibt es da noch ein gewichtiges Gegenargument, das mit dem Instanzenzug und den Regeln der Strafprozessordnung zusammenhängt. In der Revision prüft die letzte Instanz nur noch, ob die Vorinstanz das Recht falsch angewendet hat. Tatsachen gelten als feststehend, werden nicht mehr infrage gestellt. Was aber, wenn demnächst die Verteidiger unter Berufung auf die Videodokumentation sagen, dass die in der Verhandlung gemachten Aussagen einen ganz anderen Inhalt hatten? Wird in der Revisionsinstanz dann auch wieder über Tatsachenfragen gestritten?

Was im Einzelnen geplant ist

Solche Einwände wurden im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung gewogen. Der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium sieht nun vor, dass erstinstanzliche strafrechtliche Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten digital in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Gleichzeitig soll eine Software die Audio-Dokumentation transkribieren, also verschriftlichen. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenkläger sollen direkt nach jedem Verhandlungstag einen Zugang zur Video-Aufzeichnung und zum Transkript bekommen. Zeugen, die nicht identifiziert werden sollen, können verpixelt werden. Wer illegal eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung weiterverbreitet, soll sich strafbar machen.

Den Bedenken der Richterschaft wegen möglicher Mehrarbeit (langes Anschauen von Videoaufzeichnungen vor dem Urteil) wird durch das gleichzeitig automatisiert hergestellte Transkript begegnet – Textdokumente lassen sich wesentlich schneller durchsuchen.

All das wird nicht billig. Die Ausstattung der bundesweit rund 600 Gerichtssäle der Land- und Oberlandesgerichte mit der entsprechenden Technik dürfte geschätzt bis zu 18 Millionen Euro kosten. Hinzu kämen jährliche Wartungs- und Weiterentwicklungskosten. Verpflichtend soll die kostspielige Umsetzung bei den für die Justiz zuständigen Ländern erst im Jahr 2030 werden. In Angriff genommen werden soll das Vorhaben aber schon ab 2025  – bei den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte.

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