Kommentar Neue Lehren aus Afghanistan

Meinung · In Afghanistan dämmert eine neue Terrorherrschaft. Die EU muss sich einstellen auf noch mehr Flüchtlinge als 2015.

 Der Westen hat seine Ziele in Afghanistan nicht erreicht, weil er sie nie klar definiert hat.

Der Westen hat seine Ziele in Afghanistan nicht erreicht, weil er sie nie klar definiert hat.

Foto: dpa/Anjum Naveed

Nichts ist gut in Afghanistan – diese fünf Wörter hallen bis heute wundersam wider. Ausgesprochen wurden sie 2010 von der evangelischen Bischöfin Margot Käßmann. Manche Soldaten der Bundeswehr empfanden das als Schlag ins Gesicht.

Das Problem war nur: Die Bischöfin hatte recht. Die deutschen Soldaten, von Rot-Grün 2001 nach Afghanistan entsandt, waren 2010 nicht mehr beim fröhlichen Brunnenbauen. Es ging um Krieg. Nur wollte sich das niemand eingestehen.

Der Westen hat seine Ziele in Afghanistan nicht erreicht, weil er sie nie klar definiert hat. Mal ging es um den Kampf gegen die Terrorgruppe Al-Kaida, mal ums „nation building“. Zu wenig beachtet wurde aber, wie die Taliban sich damals in die Provinzen zurückzogen: abwartend, lauernd.

Dabei machten sie gar keinen Hehl aus ihrer stumpfen Strategie des Aussitzens: „Ihr habt Uhren, wir haben Zeit.“ Nun sind die Taliban wieder da. Und wo sie herrschen, verschwinden plötzlich, wie das Licht beim Stromausfall, Recht und Gesetz. Sie schießen Menschen nieder, die Smartphones haben. Andere werden gezwungen, ihre SIM-Karten zu essen: Musik hören und Videos sind jetzt „unislamisch“.

Die Taliban profitieren vom Primat der Innenpolitik im Westen. Joe Biden macht seinen ersten großen weltpolitischen Fehler. Und die Berliner Szene, weltpolitikunfähig, stochert im parteipolitischen Klein-Klein und diskutiert, was Armin Laschet als letztes zum Thema Abschiebungen gesagt hat. Die Abschiebungen, klar, muss man abblasen.

Aber merkt niemand, wie unbedeutend das alles ist angesichts der sich am Horizont erhebenden riesigen dunklen Welle? In Afghanistan dämmert eine neue Terrorherrschaft. Die EU muss sich einstellen auf noch mehr Flüchtlinge als 2015.

Die zur Stunde immer noch weltoffene Millionenmetropole Kabul steuert auf eine Tragödie zu wie Saigon 1975. Helfen könnte jetzt allenfalls noch ein ordnender und vermittelnder Eingriff der Türkei. Doch wer kümmert sich darum? Washington? Berlin?

Nichts wird besser in Afghanistan – wenn sich der Westen aus dem Land verabschiedet.

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