Überblick Was die Reform der Organspende bedeutet

Berlin · Überraschend klar hat der Bundestag ein neues Gesetz beschlossen, das die Bürger ermuntern soll, sich intensiver mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Ein Überblick.

 Ein Organspendeausweis.

Ein Organspendeausweis.

Foto: dpa/Daniel Maurer

Der Bedarf ist groß: Bundesweit stehen etwa 10.000 schwer kranke Menschen auf der Warteliste, 2018 wurden aber nur gut 950 Menschen in Deutschland zu Organspendern. Kritiker bemängeln, nur die vom Bundestag abgelehnte Widerspruchslösung hätte echte Abhilfe geschaffen.

Wie sieht die derzeitige Rechtslage aus?

Bislang bekommt jeder Krankenversicherte ab dem 16. Lebensjahr von seiner Krankenkasse regelmäßig Informationsmaterial, anhand dessen er sich für oder gegen eine Organ- und Gewebespende nach dem Hirntod entscheiden kann. Im Idealfall würde jeder ständig seinen Organspendeausweis mit sich führen, in dem seine aktuelle Haltung in dieser Angelegenheit dokumentiert ist.

Was sieht die beschlossene Entscheidungsregelung vor?

Mit ihr bleibt es bei dem heute geltenden Grundsatz, dass nur derjenige Organspender sein kann, der zu Lebzeiten explizit darin eingewilligt hat. Damit soll dem Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen Rechnung getragen werden, dem das Grundgesetz große Bedeutung beimisst.

Die vom Bundestag am Donnerstag klar abgelehnte Widerspruchslösung hätte den Spieß umgedreht: Der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit initiierte Gesetzentwurf sah vor, jedermann ab 16 zum Spender zu machen, der nicht ausdrücklich widerspricht.

Die Entscheidungsregelung sieht auch vor, die Erklärungen zur eigenen Organspendebereitschaft in einem Online-Register zu speichern, geführt vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information. Dort soll das erfasst werden, was bisher bereits im Organspendeausweis steht: Zustimmung, Ablehnung, Ausschluss oder Auswahl bestimmter Organe und Gewebe sowie Übertragung der Entscheidung auf eine dritte Person.

Zu dem Online-Register soll es mehrere Zugangsmöglichkeiten geben: Der Eintrag soll bei den Passbehörden vor Ort möglich sein sowie über Ärzte und Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern. Schließlich soll jeder Bürger auch selbst einen Online-Zugang zu dem Register bekommen - etwa mit geschützten Pin- und Tan-Nummern.

Die Neuregelung, an der maßgeblich Grünen-Chefin Annalena Baerbock beteiligt war, sieht außerdem vor, dass die Hausärzte ihre Patienten "bei Bedarf aktiv alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespende beraten und sie zur Eintragung in das Online-Register ermutigen". Die Beratung bekommen die Hausärzte außerhalb ihres Budgets vergütet.

Zudem werden die Ausweis-Behörden verpflichtet, die Bürger mit Info-Material zu versorgen und bei Abholung von Personaldokumenten zur Eintragung in das Organspende-Register aufzufordern. Dies gilt auch für Ausländerbehörden.

Wie rasch greifen die Neuregelungen?

Die Umsetzung braucht noch Zeit. Vor allem, um das zentrale Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufzubauen. In Kraft treten sollen die Neuregelungen daher zwei Jahre nach Verkündung des Gesetzes - bei Veröffentlichung in diesem Jahr also 2022. Im Register soll dann jeder ab 16 Jahren Erklärungen zur persönlichen Entscheidung zu Organspenden abgeben, ändern oder widerrufen können. Ein Widerspruch ist schon ab 14 möglich. Abrufen können die Angaben dann nur der Betroffene selbst sowie rund um die Uhr benannte Ärzte, die aber nicht an der Organspende beteiligt sind. Wer die Angaben nicht per Internet machen kann oder möchte, kann auch weiter einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung nutzen.

Was wird noch für mehr Organspenden getan?

Die bundesweit rund 1300 Kliniken, die Organe entnehmen, sollen mehr Geld und Zeit dafür bekommen. Eine Gesetzesänderung dafür ist aber erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Eigens für Transplantationen beauftragte Mitarbeiter sollen nun mehr Freiräume haben. Kliniken werden für den Prozess von Organspenden besser vergütet. Ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen des Hirntods überall festgestellt werden können.

Wie ist die Organspende in anderen Ländern geregelt?

Befürworter der im Bundestag gescheiterten Widerspruchslösung verweisen etwa auf Spanien, das auf viel höhere Spenderzahlen kommt. Dort werden aber auch Spenden nach Herztod einbezogen, wie die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt. In Frankreich, Belgien, Österreich, Tschechien und Polen gilt ebenfalls die Widerspruchslösung. In Norwegen werden in der Praxis Angehörige vor einer Entnahme gefragt, ob sich der Verstorbene dagegen ausgesprochen hat. In Schweden muss der Verstorbene in der Regel vor dem Tod zugestimmt haben. Sonst werden Angehörige gefragt.

(AFP)
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