Steht Angela Merkel vor dem Rücktritt von der Kanzlerkandidatur? Rückzug geht bei Kanzlers nicht

Angela Merkel hat noch keine Entscheidung für eine neue Kandidatur 2017 getroffen. Aber einfach so Aufhören? Das war ja noch nie da!

Steht Angela Merkel vor dem Rücktritt von der Kanzlerkandidatur?: Rückzug geht bei Kanzlers nicht
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Düsseldorf. In vielerlei Hinsicht war Angela Merkel (CDU) in ihrem Leben die erste. Unter anderem auch erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Und vielleicht ist sie auch bald die erste, die eine Kanzlerschaft einfach so aus der Hand gibt. Ohne Abwahl, oder Wählerwille, ohne polternde Niederlage an einem womöglich nasskalten September-Abend 2017. Einfach so.

Steht Angela Merkel vor dem Rücktritt von der Kanzlerkandidatur?: Rückzug geht bei Kanzlers nicht
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Es gibt Menschen, die sagen, Angela Merkel ziehe genau das in Erwägung: Rechtzeitig abtreten, Platz machen für einen Kanzlerkandidaten der CDU, weitsichtig übergeben. An einen Neuen — den die eigene Partei wiederum gar nicht erkennt. Die meisten in der CDU halten Merkel für „alternativlos“, und wenn man einmal in die Geschichte von Kanzlers schaut, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht besonders groß, dass Merkel das ruhige Leben wählen wird.

Vielmehr ist es eher so: Merkel tritt wieder an und 2021 — dann wäre sie 67 Jahre alt — wieder. Und irgendwann würde sie abgelöst, womöglich durch eine wechselnde Regierungskoalition, vielleicht auch verdrängt vom Koalitionspartner. Oder durch andere Unwägbarkeiten, die einer Kanzlerschaft in die Quere kommen können. Wohl kaum aber durch den selbst beschlossenen Rückzug.

Das nämlich ist in der Genetik der Kanzlerschaft nicht vorgesehen. Wer sich täglich an der Macht aufs Neue behauptet und sich über Jahrzehnte in der Politik in die erste Reihe gearbeitet hat, der lässt nicht los. Selbstzweifel sind Seltenheit. Auch wenn man Letztere Angela Merkel nicht absprechen mag.

Ein Blick in die Historie bestätigt diese Sicht auf die Kanzlerschaft: Konrad Adenauer (CDU) wurde im Alter von 87 noch gegen seinen Willen 1963 in den Verzicht zugunsten seines Nachfolgers Ludwig Erhard gezwungen. Adenauer wollte Erhard bis zuletzt verhindern. Der lange parteilose Erhard wiederum wurde am Ende seiner als glücklos geltenden Kanzlerschaft 1966 Opfer eines Koalitionswechsels — von einer Minderheitsregierung aus CDU/CSU hin zur ersten Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (CDU). Der wiederum verlor seine Kanzlerschaft nach nur drei Jahren an Willy Brandt (SPD) und dessen sozial-liberaler Koalition. Zeit zum freiwilligen Rückzug blieb Kiesinger kaum.

Und Brandt? Ist gemeinsam mit Gerhard Schröder (SPD) ansatzweise eine Ausnahme in all jenen abgewählten Dominatoren. Nicht etwa, weil ihr Charakter dem der anderen Alphatiere nicht geglichen hätte — ganz im Gegenteil — aber: Brandt trat den Rückzug in der Guillaume-Affäre an, obwohl ihm die Historiker bescheinigen, dass er sie hätte durchstehen können. Und der Niedersachse Schröder war — verbohrt von dem Willen, seine Agenda 2010 auch innerparteilich durch ein Votum des Bürgers durchzusetzen — in vorgezogene Bundestagswahlen gegangen. Und verlor dabei 2005 die Macht an Angela Merkel. Zuvor hatte schon dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt nach acht Jahren Kanzlerschaft das Schicksal eines Koalitionswechsels ereilt.

Und Helmut Kohl? Der Machtpolitiker, der eben jene Merkel einst an die Politik herangeführt hatte? Kohl verlor die Wahl 1998 gegen Gerhard Schröder. Was seinerzeit abzusehen war und in der CDU auch gesehen wurde, Wolfgang Schäuble hatte sich längst in Stellung gebracht. Aber der Pfälzer Kohl wollte nach deutscher Einheit und europäischer Annäherung auch noch den Wechsel von D-Mark auf Euro unter seine Ägide stellen — was schließlich Schröder mit seiner rot-grünen Regierung vollzog.

Es wird klar: Vor allem die langen Kanzlerschaften wie jene von Adenauer (14 Jahre) und die von Kohl (16 Jahre) endeten unfreiwillig, obwohl schon in der eigenen Partei an den Protagonisten gezerrt und gezogen worden war. Merkel ist fast elf Jahre im Amt und damit jener Regierungschef mit der drittlängsten Amtszeit. Gedrängt wird sie von niemandem, existenziell nicht einmal wirklich von CSU-Chef Horst Seehofer. Was aus diesem Unterschied bei aller Gleichheit entsteht? „Ich kann Ihnen sagen, was ich schon sehr häufig gesagt habe, nämlich dass ich das zum geeigneten Zeitpunkt sagen werde. Heute ist dieser Zeitpunkt nicht.“ Sagte Merkel im Sommer. Ende offen.

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