Bundestagswahl 2017 Briefwahl immer beliebter — ist das gut für die Demokratie?

Die Zahl der Briefwähler steigt rasant. Bis 2008 mussten diejenigen, die nicht persönlich ins Wahllokal konnten, dies begründen. Ein Pro und Kontra zur Briefwahl.

Bundestagswahl 2017: Briefwahl immer beliebter — ist das gut für die Demokratie?
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Düsseldorf. Es heißt „Urnengang“. Und wir sagen: „Ich gehe zur Wahl.“ Doch die Realität sieht für viele anders aus. Lag die Zahl der Briefwähler 1957 bei der Bundestagswahl noch bei 4,9 Prozent, waren es 2005 schon 18,7 Prozent. 2009 dann 21,4 und 2013 sogar 24,3 Prozent. Am 24. September werden vielleicht schon ein Drittel der Abstimmenden Briefwähler sein.

Die Parteien, die offensiv zur Briefwahl aufrufen (Motto: Was wir haben, das haben wir), verstärken den Trend. Das Ergebnis kritisiert Staatsrechtler Ulrich Battis: Der demokratische Willensbildungsprozesses werde verkürzt, eine frühe Entscheidung finde unter anderen Bedingungen statt als die Stimmabgabe am Wahltag.

Schon vor ein paar Jahren hatte ein Kläger beim Bundesverfassungsgericht die Briefwahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 beanstandet. Er kritisierte, dass der Briefwähler nicht mehr begründen muss, warum er nicht persönlich im Wahllokal erscheint. Auch für Bundestagswahlen gilt dieses Begründungserfordernis seit 2008 nicht mehr. Vorher war es so: Der Briefwähler sollte mitteilen, was ihn an der Wahl am Wahltag hindert: eine Reise etwa, oder die Unzumutbarkeit der Wahlteilnahme aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen.

Der Gesetzgeber hatte sich für die Abschaffung dieser Begründungspflicht entschieden, weil es schon 2005 rund 18,7 Prozent Briefwähler gab. Angesichts des „Massengeschäfts“ sei eine Nachprüfung, ob die Verhinderungsgründe wirklich zuträfen, schon aufgrund der Größenordnung nicht durchführbar.

Der vor das Bundesverfassungsgericht gezogene Kläger gab sich mit dieser Argumentation nicht zufrieden. Nur wenn die Wahl öffentlich abgehalten werde, könnten die Bürger Vertrauen in den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl aufbauen, mahnte er. Bei der Briefwahl hingegen könnten sie die Übermittlung und das Ausfüllen der Wahlunterlagen nicht überwachen.

Man kann es auch deutlicher sagen: Wird vielleicht (nach der Briefwahl-Stimmabgabe) von dunklen Mächten manipuliert? Oder führt jemand (schon bei der Briefwahl) dem greisen Vater am Küchentisch die Hand, ohne dass eine solche Manipulation je auffallen kann?

Auch das Bundesverfassungsgericht gestand zu: „Bei der Briefwahl ist die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen. Auch ist die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal.“

Doch die Richter sahen die faktischen Probleme bei der Überprüfung der Begründungen für die Briefwahl. Und bei der Zurückweisung der Klage argumentierten sie auch so: „Die Zulassung der Briefwahl dient dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen.“

Hohe Wahlbeteiligung — ein gewiss wichtiger Aspekt. Und bequem ist das Briefwählen schließlich auch. Jedoch nehmen die Briefwähler in Kauf, dass sie möglicherweise ein Ereignis oder Äußerungen von Kandidaten, die sie am Ende anders hätten abstimmen lassen, bei ihrer Wahl nicht mehr berücksichtigen können.

Gegenargument: Der Briefwähler ist souverän, er macht sich unabhängig von kurzfristigen Entwicklungen. Und sein Verzicht darauf, seine Entscheidung bis zum Wahltag offen zu halten, ist schließlich freiwillig. Und doch geht etwas verloren beim Kreuz am Küchentisch: die Erfahrbarkeit von Demokratie, die das Ritual des Urnengangs bedeutet.

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