Wuppertaler Geschichte Verteilen und Verdünnen

Detlef Vonde über Seuchen und Hygiene im Wuppertal des 19. Jahrhunderts.

Wuppertal.Die Jahre 1866/67 gingen als „Seuchenjahre“ in die Wuppertaler Stadtgeschichte ein, forderte doch eine Cholera- Epidemie beinahe 1 000 Todesopfer. Besonders in den Armenvierteln der Boomtowns an der Wupper waren die hygienischen Verhältnisse katastrophal. Beengtes Wohnen, verschmutztes Trinkwasser, mangelhafte Abwasserentsorgung und Abfallgruben in unmittelbarer Wohnungsnähe waren die Folgen eines chaotischen Urbanisierungsprozesses.

Solche Elendsviertel gab es in Elberfeld an der Bachstraße (heute Gathe), an der Fuhr und im Island. Bäche und Flüsse mutierten zu wahren Kloaken: die Wupper, der Mirker Bach in Elberfeld oder der Mühlengraben in Barmen — 1858 waren der Cholera über 800 Menschen zum Opfer gefallen. Solche Epidemien verbreiteten Angst und Schrecken, weil über ihre Ursachen noch nicht viel bekannt war. Die Seuche zählte zu den sozialen Kosten der Industrialisierung und Urbanisierung. Allein durch die „Asiatische Cholera“ starben zwischen 1831 und 1871 in Preußen etwa 380 000 Menschen.

Diese Entwicklung brachte die „Hygienebewegung“ auf den Plan: Wissenschaftler wie Max Pettenkofer oder Robert Koch untersuchten die Krankheit und stritten sich dabei nach allen Regeln der Kunst. Pettenkofer vertrat die Theorie, dass Abwässer nicht geklärt zu werden brauchten, weil das angeblich durch die Selbstreinigungskräfte der Flüsse geschehe. Verteilen und verdünnen, so seine Devise. Anders Robert Koch, der 1882 den Erreger der Tuberkulose und 1884 den Cholerabazillus entdeckt und damit zum ersten Male nachgewiesen hatte, dass Krankheiten durch Bakterien entstehen konnten. Es sprach vieles dafür, dass Cholera durch verunreinigtes Trinkwasser übertragen werden konnte. Allerdings war die Beweisführung reichlich schwierig. Pettenkofer führte 1892 seinen legendären Selbstversuch durch, als er eine Lösung mit Erregern trank, die sein Kontrahent Koch für die Cholera verantwortlich machte. Nichts passierte, Pettenkofer blieb gesund. Die Anhänger von Koch gaben vor, Pettenkofer absichtlich eine verdünnte Lösung geschickt zu haben. Vielleicht hat ihn aber auch das Bier gerettet, das er nach seinem Selbstversuch trank. Koch schien vorerst widerlegt und doch schon bald auf makabre Weise bestätigt: in Hamburg brach eine verheerende Choleraepidemie aus, bei der es in nur zwei Monaten 18 000 Kranke und 7 600 Tote gab. Und das, obwohl Hamburg eine ausgebaute Kanalisation hatte. Die Abwässer wurden aber in die Elbe eingeleitet, aus der auch das Trinkwasser stammte. In Wuppertal brachte der Bau einer Kanalisation Ende des 19. Jahrhunderts und der Kläranlage Buchenhofen im Jahr 1906 zeitweise sogar eine Verschlechterung der Wasserqualität, da nun auch Abwässer, die vorher versickert oder als Dünger genutzt worden waren, der Wupper - ungenügend geklärt - direkt zugeführt wurden. Die Cholera aber war kein Thema mehr.

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