Plädoyer für eine Schrumpfkur der evangelischen Kirche

Interview: Wuppertals Superintendent Manfred Rekowski warnt davor, dass die Gebäudelast die Gemeinden auffrisst.

Herr Rekowski, wir führen dieses Gespräch in der Citykirche Elberfeld - dort wurde ein Teil des Kirchenraums zu einem öffentlichen Café umgebaut. Die Kirche ist auch Veranstaltungsort und Begegnungsstätte. Sieht so die Zukunft der evangelischen Kirchen in Wuppertal aus?

Manfred Rekowski: Ich würde das voll unterstreichen. Es ist eine gute Möglichkeit, Kirchengebäude und Gottesdienststätten zu erhalten, indem man sie multifunktional nutzt. Davon haben wir viele Beispiele in Wuppertal, etwa die Unterbarmer Pauluskirche oder die Immanuelskirche, die schon am 1.Januar 1984 aufgehört hat, Gemeindekirche zu sein. Das neueste Beispiel ist die ehemalige Kreuzkirche am Fuß der Nordstadt. Dort ist ein extremer Rückgang der Protestanten zu verzeichnen. Wenn wir dort das Licht ausmachen würden, dann wäre das für die Menschen wie ein Tritt in den Rücken. Wir wollen deshalb dort mit der Diakoniekirche präsent bleiben - eine Anlaufstelle mit offener Tür, mit sozialen Dienstleistungen und neuen Gottesdienstformen.

Wenn man an die Bibel denkt, könnte man das kritisch sehen - schließlich hat Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieben. Geht das so problemlos in einer Kirche: Das Gebet neben dem Café?

Rekowski: Nach evangelischem Verständnis sind die Kirchen keine heiligen Orte im eigentlichen Sinne. Die Anfänge der christlichen Gemeinden waren ja Hausgemeinschaften. Wir sind Kirche des Wortes. Auch deshalb schließen sich ein Gottesdienstraum und eine nicht-kommerzielle Begegnungsstätte nicht aus. Ich sage aber ganz ausdrücklich: Die Kirchen-Räume predigen auch. Sie geben Geborgenheit, sie sind Heimat. An den Gebäuden hängen Menschen, die hier getauft wurden. Deswegen gehen wir die Frage, was aus unseren Kirchen werden soll, nicht emotionslos an.

Rekowski: Ich sage es so: Als Wuppertals Bevölkerung sich im 19.Jahrhundert auf 290000 Menschen verzehnfacht hat, da hat die evangelische Kirche durch das Bauen der ’Dome’, der großen Kirchen, diesen Anpassungsprozess mitgemacht. Wenn wir heute alles so lassen würden, dann würden die Gebäudelasten uns strangulieren. Die Gebäude sind unterstützend, aber nicht die Essenz der Kirche. Und sie dürfen uns nicht auffressen. Der Prozess des Wachsens ist uns damals großartig gelungen. Der andere ist wesentlich schmerzhafter.

Die Synode tagte im Gemeindesaal der Hottensteiner Kirche. War das ein Bekenntnis zu dem Saal, der vor der Schließung steht?

Rekowski: In Wichlinghausen-Nächstebreck ist die Sache so: 7870 Gemeindeglieder müssen drei Kirchen erhalten - das ist schon ein riesiger Kraftakt, und die Kirchen haben absolute Priorität. Dazu kommt das wichtige Jugendhaus an der Bartholomäusstraße, das mit Mitteln des Konjunkturpakets II saniert wird. Da ist ein Saal, den wir sechs bis acht Mal im Jahr kirchlich nutzen, eher nachrangig. Wenn man die Kosten zu Grunde legt, könnten wir die Synode fast schon im Hilton einmieten. Die Gemeinde ist auf die Bürger und Bürgervereine zugegangen, um eine Lösung für diesen im Stadtteil beliebten Veranstaltungsort zu finden. Die begonnenen Gespräche zwischen den Bürgern und dem Presbyterium laufen vielversprechend.

Die Gebäudelasten, von denen Sie sprechen: Lassen die sich in Zahlen ausdrücken?

Rekowski: Es sind rund 250 Gebäude im Besitz der Gemeinden. Deren Feuerkassen-Versicherungswert liegt bei 130 Millionen Euro - das ist aber nicht der Marktwert. An dem Versicherungswert bemessen sich allerdings die Kosten für die Gebäude-Unterhaltung. Und: In guten Zeiten war die Neigung, in neue Immobilien zu investieren, stärker als die Bereitschaft zur Unterhaltung der Gebäude. Unsere große Aufgabe ist nun: Wir müssen der nächsten Generation die Kirchen in einem guten Zustand übergeben.

Rekowski: Es gibt ja positive Beispiele. Cronenberg hat in die beiden den Stadtteil prägenden Kirchen investiert und das über den Verkauf ihrer Gemeindehäuser finanziert - nach dem Motto: historisch vor Zweckbauten. Das kann anderen Gemeinden ein Vorbild sein - wie auch die Kreuzkirche in Langerfeld, die zu einem Wohnhaus für Alleinerziehende umgebaut wurde.

Gibt es Gemeinden, die schon an ihre Grenzen stoßen?

Rekowski: Die Gemeinde Elberfeld-West hat in den vergangenen Jahren schon fünf Gemeindezentren aufgegeben und sich auf den Erhalt der Sophienkirche konzentriert, als neuen, vitalen Mittelpunkt. Hier sieht man die Entwicklung, wie sie für die Innenstadtbereiche wohl typisch sein wird - als Bündelung der Kräfte.

Rekowski: Ich möchte das ungern öffentlich sagen. Aber Wichlinghausen-Nächstebreck etwa ist kein Einzelfall. Im Grunde stehen alle vor der Frage: Will ich weiter eine gute Seelsorge, eine gute Kirchenmusik, eine gute Jugendarbeit gewährleisten oder ein Gebäude erhalten? Vor dieser Entscheidung stehen die Presbyterien. Und die Gemeinden mit den großen, denkmalgeschützten Kirchen - ich nenne die Friedhofs- oder die Christuskirche - tragen besondere Lasten. Wir werden gefragt, ob hier eine gesamtkirchliche Unterstützung möglich wäre. Als Kirchenkreis können wir hier aber nur moderieren.

Muss man angesichts dieser Entwicklung von einer Krise der evangelischen Kirche sprechen?

Rekowski: Es ist eher ein Prozess, auf den wir zu spät reagiert haben. Seit 1963 sinkt die Zahl der Menschen in Wuppertal - aber die Kirchensteuer-Einnahmen sind bis 1993 gestiegen. In der Zwischenzeit haben die Gemeinden stark investiert, neue Kirchen und Gemeindehäuser gebaut, nach dem Motto: Die Menschen kommen nicht mehr von selbst zu uns, also kommen wir ihnen näher. In gewisser Weise tragen wir heute die Lasten dieser Entwicklung: Wir haben zu lange über unsere Verhältnisse gelebt.

Rekowski: Nein, es ist ja nicht so, dass hier die Gottlosigkeit ausbräche. Es gibt kaum Austritte, wir haben eher ein demographisches Problem und zu viele Menschen ziehen weg. Doch unsere Auftragslage ist, wenn ich das so nennen darf, hervorragend: Die Menschen in Wuppertal brauchen uns angesichts großer sozialer Probleme, der Armut, vor allem von Kindern, der Vereinsamung gerade alter Menschen. Da wünschte ich mir manchen Euro von damals für die Seelsorge in der heutigen Zeit.

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