Neuss: Grundgesetz - Begleiter über 60 Jahre

Jubiläum: Heinz Günther Hüsch über die ersten Jahre und aktuelle Entwicklungen.

Neuss. Sechs Bände, schwer, gewichtig, stehen auf Augenhöhe im Regal, das bis an die Decke reicht. Wann er zum letzten Mal hat in die Paragraphen des Grundgesetzes hineingesehen hat, weiß Heinz Günther Hüsch sofort. Vor ein paar Tagen erst, es ging um einen Fall, in dem die Pressefreiheit gegen den Persönlichkeitsschutz stand: zwei Grundrechte, wie sie die Väter und Mütter des Grundgesetzes vor 60 Jahren festgeschrieben haben. Am 6.Mai 1949 wurde dieses Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat angenommen, am 23.Mai verkündet. Den Juristen, Stadtverordneten über 53Jahre, den früheren Bundes- und Landespolitiker hat es über die 60Jahre begleitet.

Als der Parlamentarische Rat in Bonn tagte, war Hüsch Jurastudent in Köln. Heute erinnert sich der 79-Jährige an die ersten Nachkriegsjahre: "Es musste etwas anderes kommen, davon waren wir überzeugt: Ein System, das dem Respekt vor dem Menschen dient." Die Einrichtung der Besatzungszonen, die Abspaltung des Ostens, Entstehung der Stadträte, der Länder - und die Erarbeitung des Grundgesetzes und damit die Gründung der Bundesrepublik waren prägend für den jungen Neusser.

"Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes war für mich ein Akt des Werdens abgerundet", erklärt der Jurist und Politiker. War er damals stolz auf das Zustandekommen? Nein, sagt Hüsch, stolz nicht, aber zufrieden: "Ich habe mich wirklich damit identifiziert. Und ich hatte Hoffnung." Menschenwürde, Rechtsstaatsgarantien, Garantie des Eigentums: "Das waren für den jungen Jura-Studenten ganz wichtige Punkte."

Eine schlagartige Abkehr von alten Strukturen und Denkweisen habe mit dem Mai 1949 natürlich nicht eingesetzt. "Man konsumierte, und es gab auch vier Jahre nach Kriegsende noch weit verbreitete Lethargie. Der Weg in die soziale Marktwirtschaft hatte noch nicht begonnen." Hüsch nennt es den Beginn eines embryonalen Wachsens und erinnert sich noch gut an erste Referendarjahre, als im Gerichtssaal der Angeklagte noch so manches Mal angeschrieen wurde.

Im Jahr 2009, seinem letzten als Stadtrat, zeigt sich Heinz Günther Hüsch einmal mehr als Verfechter alter Werte. Der Rechtsstaat sei in Teilen zu einem Rechtswegestaat geworden, sagt er bitter. "Und zu einem Verwaltungsrichterstaat." Das bezieht er gerade auf die kommunale Ebene, werde doch die Gestaltungsmöglichkeit der Kommunalpolitik immer weiter eingeschränkt.

Letzte "Untat" sei die höchstrichterliche Abschaffung der Sperrklausel, der 5-Prozent-Marke. Er sei entsetzt über den Mangel an geschichtlichen Erkenntnissen. Jetzt reichten in Neuss 600 Stimmen für ein Stadtratsmandat, erläuterte der Anwalt und verbirgt seine Befürchtung um künftigen Einfluss von Splitterparteien im Stadtrat nicht. Hüsch fasst seine Kritik aber weiter: Zwar leiste das Bundesverfassungsgericht erstklassige Arbeit. Es mische sich aber zunehmend in Kompetenzen des Gesetzgebers ein.

Und die zunehmende Zahl von Grundgesetzänderungen, wie jetzt wieder die zur Erleichterung der Umsetzung des KonjunkturpaketsII? Heinz Günther Hüsch winkt ab. "Nur weil etwas leichter geht, ändert man das Grundgesetz nicht." Zu viele Formulierungen fänden Aufnahme ins Grundgesetz, die nur im Tagesgeschäft von Interesse seien. Der Jurist spricht abschätzig vom Nützlichkeitsbewusstsein. "Vielleicht ist das ja nicht die Mehrheitsmeinung. Aber es ist meine."

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