Der mühsame Weg zum Tannenbaum

Auf dem Eggenhof kann man sich seinen Weihnachtsbaum selbst absägen. Doch der Versuch zeigt: Das ist schwieriger als gedacht.

Neuss. Es ist diese eine Szene in dem Film „Schöne Bescherung“, an die ich mich in diesem Moment erinnere. Der spießige Familienvater Clark Griswold, der einfach nur schöne Weihnachtstage mit seiner Familie verbringen möchte, aber eine böse Überraschung nach der anderen erlebt, möchte den Christbaum für seine Liebsten selbst sägen. Das Problem: Clark Griswold hat das nötige Werkzeug vergessen, also muss er den verschneiten Weihnachtsbaum, der sich im Endeffekt auch noch als viel zu groß für das heimische Wohnzimmer herausstellen wird, ausgraben.

Der mühsame Weg zum Tannenbaum
Foto: Andreas Woitschützke

Der Schnee fehlt an diesem grauen, ungemütlichen Tag auf dem Neusser Eggenhof, auf dem sich gestandene Frauen und Männer seit rund 30 Jahren ihren Christbaum eigenhändig sägen können. Dafür bin ich mit dem nötigen Werkzeug ausgestattet. Ich habe sogar zwei unterschiedliche Sägen zur Hand. Eine kurze und eine lange. Das habe ich Clark Griswold schon mal voraus. Leider bin ich ähnlich verplant unterwegs wie das amerikanische Familienoberhaupt mit dem ausgeprägten Faible für Lichterketten am Haus: Ich habe passendes Schuhwerk für den matschigen Boden vergessen. Lediglich an eine Ersatzhose habe ich gedacht, um später nicht den Spott der Kollegen auf mich zu ziehen.

Auf rund 5000 Quadratmetern reiht sich an der Eggenhofstraße Tannenbaum an Tannenbaum. Darunter auch wesentlich unbekanntere Arten als die klassische Nordmanntanne — etwa Kork, Zuckerhutfichte, Kolorado oder Blaufichte. Egal ob kleine, große, krumme oder gerade: Inhaber Thomas Küppers hat sie alle. „Meistens ist das Sägen ein Vater-Sohn-Erlebnis“, sagt Küppers, dessen Vater Karl-Heinz vor Jahrzehnten seinen Kunden erstmals die Möglichkeit bot, selbst den Stamm des Tannenbaums zu durchtrennen. Bereits im November hängen die ersten Zettelchen an den Nadeln, die „Ich bin reserviert“ bedeuten.

Thomas Küppers, Inhaber des Eggenhofs

Küppers schlendert durch die Baumreihen und biegt nach einigen Metern rechts ab. Vor einer Kolorado-Tanne macht er Halt und drückt mir mit einem breiten Lächeln die beiden Sägen in die Hände. „So“, sagt er lediglich. Wenige Momente später knie ich unter den langen, duftenden Nadeln und säge mir — Achtung, Kalauer — einen Ast ab. Genauer gesagt bewege ich die lange Säge vor und zurück, habe aber nicht das Gefühl, dass ich voran komme. Der Stamm des im Vergleich zu den umliegenden Tannen zierlichen Bäumchens erweist sich nämlich als äußerst widerspenstig.

Nach einigen Minuten erlöst mich Küppers von der Frühsporteinlage und durchtrennt den Stamm mit einer Kettensäge. Den „Baum fällt“-Spruch verkneife ich mir ob der lächerlichen Größe des Gewächses, das sich jedoch als schwerer herausstellte, als ich zunächst annahm. Um das Erlebnis perfekt zu machen, lässt mich Küppers nämlich den Baum auch noch in den Innenhof tragen, um ihn einzunetzen.

Mit matschigen Schuhen, Schweißperlen auf der Stirn, dreckiger Hose und Tannennadeln in der Jackentasche verlasse ich den Hof und bin um eine Erfahrung reicher. Die positive Erkenntnis: Immerhin musste ich den Baum nicht ausgraben. So schlimm wie Clark Griswold hat es mich also nicht erwischt.

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