Kommentar Immer mehr Kinder in Quarantäne: Ist das noch verhältnismäßig?

Meinung · Unsere Redakteurin erlebt es gerade selbst: Ihr Sohn steht unter Quarantäne. Was sie und ihr Kind erleben, erleben gerade immer mehr Eltern und Kinder. Und ein Absatz einer E-Mail des Gesundheitsamtes im Kreis Viersen lässt sie nicht mehr los.

 Unkonzentriert, gelangweilt und zappelig, so werden viele Kinder und Jugendliche einer spanischen Studie zufolge, wenn sie wegen der Corona-Krise über Wochen kaum oder gar nicht aus dem Haus dürfen (Symbolbild).

Unkonzentriert, gelangweilt und zappelig, so werden viele Kinder und Jugendliche einer spanischen Studie zufolge, wenn sie wegen der Corona-Krise über Wochen kaum oder gar nicht aus dem Haus dürfen (Symbolbild).

Foto: dpa/Óscar J.Barroso

Liebe Leser, derzeit finden Sie nur wenige Texte von mir in der Zeitung. Der Grund: Mein Sohn steht unter Quarantäne, weil er im Kindergarten mit einer Corona-infizierten Person Kontakt gehabt haben könnte. Und ich als betreuendes Elternteil sitze somit ebenfalls zuhause fest. Nichtmal zum Bäcker darf ich mit dem Jungen – selbst wenn er im Auto sitzen bliebe. Nichtmal die leere Straße darf er mit seinem Fahrrad einmal auf und ab fahren. So wie uns geht es aktuell vielen Familien im Kreis Viersen – und im ganzen Land. Alleine in unserer Kita ist eine hohe zweistellige Zahl an Kindern in Quarantäne. In der täglichen Corona-Meldung des Kreises tauchte unsere Einrichtung allerdings bislang nichtmal auf.

Aber einen Anruf vom Kreis-Gesundheitsamt haben wir natürlich bekommen. Und eine Email zur „angeordneten Absonderung in sogenannte häusliche Quarantäne“. Ein Absatz darin lässt mich nicht mehr los: „Die sich aus der Absonderung ergebenden Einschränkungen stehen nicht außer Verhältnis zu dem Ziel, eine Weiterverbreitung dieses Krankheitserregers in der Bevölkerung zu verhindern“, heißt es darin. Und weiter: „Mit der häuslichen Durchführung der Absonderung wird den Belangen der betroffenen Person so weit wie möglich Rechnung getragen.“ Zunächst handelt es sich bei Kindern nie um nur eine „betroffene Person“. Die gesamte Familie wird praktisch lahmgelegt. Und auch der Arbeitgeber mindestens eines Elternteils muss auf Mitarbeiter verzichten. Zum anderen setzt die versicherte Verhältnismäßigkeit unausgesprochen voraus, dass es sich um eine einmalige Ausnahmesituation handelt. Was mich und die meisten anderen Eltern besonders besorgt, ist die Tatsache, dass der gesamte Herbst und Winter erst noch bevorstehen.

Wer will uns garantieren, dass wir nun nicht alle paar Wochen zuhause festgesetzt werden. Im besten Fall noch für zwei Wochen, wenn das Kind als Kontaktperson ausgemacht wird. Infiziert sich ein Kind hingegen wirklich mit Corona, dann könnte das für die Geschwister sogar bis zu vier Wochen Isolation bedeuten, sofern sie sich nicht selbst anstecken. Was einem schon fast lieber wäre, denn dann würden die Kindern nun wenigstens ein halbes Jahr lang als „genesen“ gelten. Bei uns ist gerade einmal Halbzeit bei der Quarantäne.

Mein Sohn hat sich einmal beim Abendessen bei uns entschuldigt. Er glaubte, er müsse etwas Schlimmes verbrochen haben, dass man ihn derart einsperrt. Er weint, wenn die große Schwester das Haus verlässt. Er ist gelangweilt, unausgelastet und vermisst seine Großeltern, seine Freunde, den Fußballverein. Wäre er ein Schulkind, würde er sogar noch eine Menge Unterricht verpassen. Denn Distanzunterricht gibt es nicht mehr. Die Schulen sind ja offen. Zumindest für jene, die gerade nicht unter Quarantäne stehen.

Diese Einschränkungen, die den Familien nun alle Nase lang drohen und über Wochen und Monate andauern könnten, sollen also weiterhin verhältnismäßig sein, um die Verbreitung des Corona-Virus zu begrenzen? Das war vielleicht im vergangenen Winter so. Aber jetzt hat jeder, der gefährdet sein könnte, die Chance, sich zu schützen. Kinder zumindest auch dann, wenn sie vorerkrankt sind. Ist es da noch richtig, jeden, der auch nur im entferntesten im Sandkasten neben einer infizierten Person gesessen haben könnte, für Wochen wegzusperren und dadurch die Bildung und die geistige Gesundheit dieser Kinder zu gefährden? Und das womöglich andauernd? Ich finde nein. Alternative Lösungen müssen nun ernsthaft erarbeitet und schnell umgesetzt werden. Zum Beispiel ausreichende Kapazitäten für eine genaue Ermittlung der tatsächlichen Kontakte. Klare Leitlinien für die Gesundheitsämter, wann eine Quarantäne tatsächlich notwendig ist. Möglichkeiten zum Freitesten, wie sie Reiserückkehrern zugestanden werden. Ein stärkeres Aussperren der freiwillig Ungeimpften anstelle des massenhaften Einsperrens noch nicht impfbarer Kinder. Liebe Verantwortliche in Düsseldorf und Berlin: Lasst euch etwas einfallen, denn so können wir Familien den Winter nicht bestreiten!

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