20 Verletzte nach Störfall in einem Wülfrather Chemiewerk

Nach dem Austritt einer Gaswolke klagen Menschen über Reizungen von Augen und Atemwegen. Fünf von ihnen werden in Krankenhäusern behandelt.

Wülfrath. Großeinsatz am Donnerstagmorgen im Wülfrather Industriegebiet Kocherscheidt an der Stadtgrenze zu Velbert: Um 7.37 Uhr wird Alarm ausgelöst, nachdem im Unternehmen ASK Chemicals (Ashland-Südchemie Kernfest) eine zunächst unbekannte Substanz ausgetreten ist. Einsatzkräfte der Feuerwehr aus dem ganzen Kreis und Solingen rücken aus, die Polizei sperrt das Gebiet weiträumig ab.

Bereits im August 2008 war es bei ASK Chemicals zu einem Unfall gekommen. Damals wurden mehrere Dutzend Menschen verletzt, nachdem eine Gaswolke freigesetzt worden war. Diesmal ist am Vormittag zunächst von bis zu 60 Betroffenen die Rede.

Auf dem Gelände der benachbarten Farbenwerke Jonas schlagen die Retter ein Feldlager auf. Immer wieder treffen neue Rettungsfahrzeuge ein. Kurz vor 10 Uhr wird noch einmal nachalarmiert. Krankenwagen um Krankenwagen rollt durch eine Baustelle an der Kruppstraße in das Industriegebiet. Warum der Panoramaradweg erst 90 Minuten nach Bekanntwerden des Störfalls gesperrt wird, bedarf noch der Klärung.

Das Unternehmen selbst — um schnelle Information bemüht — spricht in einer ersten Pressemitteilung um 10.07 Uhr von sechs Personen, die behandelt würden. Um 13 Uhr sind es offiziell 20 Leichtverletzte, alles Mitarbeiter von Nachbarfirmen des Chemieunternehmens. „Fünf von ihnen mussten in Krankenhäuser gebracht werden. 15 werden vor Ort behandelt“, sagt Kreis-Pressesprecherin Daniela Hitzemann — wegen Reizungen der Atemwege, Augen und Haut. Insgesamt hätten sich 45 Personen untersuchen lassen.

Laut ASK Chemicals ist es in der Phenolharzanlage — Phenolharze werden in der Gießereiindustrie verwendet — zu einem Überdruck gekommen. Daraufhin seien die Sicherheitseinrichtungen „angesprungen“: Um zu verhindern, dass der Reaktionsbehälter womöglich explodiert, seien drei Tonnen des Stoffgemisches aus Phenol, Kresol und Formaldehyd in einen unterirdischen Auffangtank „geblasen“ worden.

Dabei, so Unternehmenssprecher Ulrich Girrbach, kam es an einer Druckentlastungsöffnung zu einem Austritt von rund 1,5 Tonnen der Chemikalien, die als Dampfwolke in die Luft steigen. Die freigesetzten Stoffe sind in hohen Konzentrationen giftig und gelten als krebserregend.

Das „kurzzeitige Freisetzen“ sei nicht zu verhindern gewesen, sagt der Störfallbeauftragte des Unternehmens, Claus Martin Czech, in einer Pressekonferenz am Mittag. Da ist der Großalarm bereits vorbei, um 12.30 Uhr geben die Behörden offiziell Entwarnung. Messungen hätten weder im übrigen Wülfrather Stadtgebiet noch im angrenzenden Velbert- Tönisheide Schadstoffe ergeben.

Nach ersten Auskünften ist die Chemikalienwolke Richtung Norden abgezogen und hat sich rasch aufgelöst. Ashland spricht von einer bodennahen Freisetzung und einem „lokalen Ereignis“. „Es ist deutlich anders als 2008“, sagt Czech. Laut Girrbach ist die „Notfallkette unverzüglich angelaufen“. Das heißt: 7.45 Uhr automatische Meldung an die Feuerwehr, 7.55 Uhr Information der zuständigen Behörden.

Trotzdem kommt es zunächst zu widersprüchlichen Informationen: Der Wülfrather Ordnungsamtsleiter sagt vor Journalisten, dass nur die Unternehmen im engen Industriegebiet aufgerufen seien, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Weitergreifende Maßnahmen seien nicht erforderlich. Zeitgleich ruft im Gymnasium Wülfrath die Schulleitung ihre Schüler auf, wegen des Unfalls die Pause nicht im Freien zu verbringen. Und auch die Stadt Velbert warnt Schulen und Kindergärten in Tönisheide.

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