Krefeld Ulle Schauws im Interview: "Merkel duckt sich weg"

Ulle Schauws will wieder nach Berlin: die Grüne über die AfD, Frauen und schmutzige Politik.

Krefeld: Ulle Schauws im Interview: "Merkel duckt sich weg"
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Ulle Schauws ist irgendwie immer im Thema. Facebook, Twitter, Instagram. Eine Medienwissenschaftlerin. Und eine Politikerin, die längst verstanden hat, welche Macht soziale Medien entwickeln. Erst vor einigen Wochen befeuerte die 50-Jährige mit einem kleinen Tweet eine Riesendebatte, als sie eine Kommission gegen sexistische Werbung forderte anstelle eines Verbotsgesetzes, wie Minister Maas es vorschlug. In ihrem Krefelder Büro am Ostwall kämpft Schauws ganz analog mit der Kaffeemaschine, nebenan sitzt ihr Angestellter Karsten Ludwig, zarte 23, und frisch gekürter Landtagskandidat für den Mai 2017. Die Grünen sind eine kleine Partei, auch in Krefeld. Das hilft manchmal dabei, klare Kante zu reden. So wie Schauws, die im September 2017 wieder nach Berlin will.

Frau Schauws, das wird ein ungewöhnlicher Wahlkampf. Können Sie sich für ein weiteres Mandat im Bundestag überhaupt selbst profilieren, wenn das Wahlvolk von der Landtagswahl in die Sommerferien fällt?

Ulle Schauws: Die Situation ist ja für alle gleich und natürlich gibt es unterschiedliche Themen. Im Landtagswahlkampf wird der Fokus auf der Bildung und der Verkehrspolitik liegen. Konkret für Krefeld unter anderem auf der Hafenanbindung oder dem ÖPNV-Anschluss in die großen Nachbarstädte Duisburg und Düsseldorf. Im Bund wird die Flüchtlingspolitik das große Thema sein, aber da geht es auch noch um einige andere wichtige Weichenstellungen.

Zum Beispiel?

Schauws: Um die gerechtere Umverteilung von Ressourcen. Das ist mein Thema. Es geht um 20 Milliarden Euro an Vermögenssteuer pro Jahr, die den Kommunen zugute kämen. Gerade dieses Geld fehlt auch in Krefeld. Es geht um eine gerechtere Besteuerung der sehr, sehr Reichen. Privatvermögen ist in keinem anderen Land so ungleich verteilt. Und es geht um mehr Entlastung und Verlässlichkeit für Familien mit Kindern, egal in welcher Konstellation sie leben. Wir sollten doch das Leben von Menschen mit Kindern fördern und nicht nur den Trauschein. Diese Reform ist längst überfällig.

Dafür feiert die Koalition die „schwarze Null“. Liest die SPD keine Armutsberichte der großen Verbände, die eine immer dramatischere Entwicklung zeichnen?

Schauws: Fakt ist, wir müssen die Familienförderung vom Kopf wieder auf die Füße stellen. Die Minister Maas und Schwesig arbeiten beide nach dem Muster: viel versprechen, weniger umsetzen. Das Verbot von sexistischer Werbung ist da ein gutes Beispiel. Oder etwa die angekündigten Maßnahmen für alleinerziehende Mütter, das Gesetz zur Lohngleichheit. Was ich bei den beiden letzteren Maßnahmen sehr bedaure.

Stichwort Alleinerziehende: Das Wachstum dieser Gruppe steht offenbar linear mit zunehmender Armut in Beziehung. Auch Ihre Baustelle als frauenpolitische Sprecherin Ihrer Fraktion?

Schauws: Wir müssen Antworten darauf finden. Und zwar differenzierte. Altersarmut entwickelt sich genauso besorgniserregend wie Kinderarmut. Insbesondere geht das zu Lasten der Frauen, vor allem der Alleinerziehenden. Ich halte daher eine Kindergrundsicherung für richtig. Wir müssen zudem erkennen und nutzen, dass wir in einem der reichsten Länder der Erde auch Riesenchancen haben.

Klingt nach Sozialdemokratie. Sind Sie in der falschen Partei?

Schauws: Ganz und gar nicht. Wir Grünen stellen unangenehme Fragen, nicht nur in umweltpolitischen Themen. Wir sind ebenso eine Bürgerrechtspartei. Es geht oft um Grenzen, um die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel in der Frage, was es heißt, wenn eine Frau „Nein“ sagt. Dass eine Vergewaltigung auch als solche angezeigt werden kann, sollte doch selbstverständlich sein.

Aber es gibt Menschen, die sehen bei anderen Themen in der grünen Ideologie des letzten Jahrzehnts vor allem eine Bevormundungs- und Verbotspolitik. Rauchverbot, Veggie-Day, Nachtangelverbot, keine Weichmacher in Sexspielzeug, es gibt ganze Internet-Seiten.

Schauws: Wie gesagt, es geht um Grenzen und darum, strittige Themen anzusprechen. Nehmen wir den Veggie-Day. Der beinhaltet kein Fleisch-Verbot. Er soll zum Nachdenken anregen: Ist es okay, wenn Fleisch günstiger ist als Brot, wenn unter solchen Bedingungen produziert werden kann? Wenn Hähnchen geschreddert werden, kriegen alle die Krise. Also wenn man dann den großen Zusammenhang thematisiert, ist das doch nicht dogmatisch.

Helfen beim Thema Image-Wende Sympathieträger wie Kretschmann? Oder ein Özdemir, der in der Türkei- und Armenien-Frage eine klare Haltung zeigt?

Schauws: Es geht doch nicht um Image. Natürlich ist ein Trend wie in Baden-Württemberg auch für den Bund wichtig. Und wie Cem sich diesen Anfeindungen stellt ist bemerkenswert. Als ich 2013 in den Bundestag gekommen bin, hat es dieses Gewaltpotenzial, diese Gefährdung, noch nicht gegeben. Mittlerweile sind Hemmschwellen gefallen, nicht nur durch die schlimmen Morddrohungen gegen einzelne türkischstämmige Abgeordnete, sondern täglich in den sozialen Netzwerken. Insbesondere von rechts. Ich beschäftige mich intensiv mit dem so genannten Hatespeech. Die Bundesregierung ist bei dieser Entwicklung ziemlich handlungsunfähig, aber auch nicht unbeteiligt.

Nämlich?

Schauws: Merkel hat sich in der Causa Böhmermann weggeduckt. Ebenso nach der Armeniendebatte anstatt sich schützend vor die Abgeordneten zu stellen. Mitunter ist Politik ein schmutziges Geschäft.

Ist das Land auch aufgrund fehlender politischer Haltung verunsichert?

Schauws: Brexit, AfD, Rechtsruck in vielen europäischen Staaten, derzeit kommt viel zusammen. Wir sind wieder in der Phase, in der mit Angst Politik gemacht werden kann. Die AfD etwa versucht das — oft leider ziemlich geschickt. Da könnte ich im Strahl brechen. Die bedienen Reflexe, Propaganda funktioniert immer gleich, aber sie funktioniert. Ich hoffe, dass sich die Meuthens, von Storchs und Petrys mit ihren antisemitischen und nationalsozialistischen Parolen in den Parlamenten, in die sie es mittlerweile geschafft haben, weiter demaskieren. Zudem ist das Web ein enthemmtes Areal, da müssen wir wirklich aufpassen. Aber als demokratieliebende Bürger sind wir alle, jeder Einzelne gefragt.

Was können die Bürger tun?

Schauws: Sich den Populisten in sozialen Netzwerken entgegenstellen. Sie mit der Realität konfrontieren. Nicht einfach Protest wählen, sondern sich klar machen, dass das Verhalten eines jeden einzelnen Menschen direkte Auswirkungen auf sein Land hat. Wir haben Wahlmöglichkeiten, können Mehrheiten bilden und den Gehalt von Parolen prüfen. Was passiert, wenn ein Volk das nicht beherzigt, zeigt sich in Großbritannien. Zu spätes Bedauern über den Brexit.

Und was zeigt Krefeld?

Schauws: Demokratiebildung findet auch in den Jugendstätten statt, da ist Krefeld auf dem Weg. Und auch in der Flüchtlingsfrage. Krefeld besitzt ein großartiges Netz an ehrenamtlicher Hilfsbereitschaft, da wird bis zur Nerv- und Erschöpfungsgrenze gearbeitet. Der Skandal ist doch, dass 2000 Asylanträge, also fast zwei Drittel, noch nicht bearbeitet sind. Ein Wahnsinn. Was das BAMF immer noch nicht schafft und damit die dafür Verantwortlichen de Maiziere und Schäuble, da muss ich sagen: Das ist fatal! Schlechte Arbeit, meine Herren!

Für die Populisten an der Basis eine Wahlkampfhilfe?

Schauws: In jeder Bezirksvertretung, wo jemand auf dem Ticket der AfD sitzt, ist deutlich geworden: Die kochen nur mit Wasser, da kommt politisch nahezu nichts. Widersprechen sich ständig, auch intern, sind zerstritten. In Hüls sagt mir einer: Ja, ich bin zwar für die AfD hier reingekommen, habe mit denen aber eigentlich gar nichts zu tun. Ich werde mich im Wahlkampf auf jedes Podium setzen, wo auch ein AfD’ler sitzt. Um ihn in der Debatte zu stellen, Zivilcourage braucht auch Vorbilder.

Die Gefahr ist überschaubar.

Schauws: Richtig, und das ist ja das Schlimme. In Sachsen-Anhalt haben AfD’ler 24 Prozent geholt, obwohl sie sich auf kein einziges Podium gewagt haben. Oder bewusst gemieden.

Und wie groß ist die Gefahr, dass Ulle Schauws im September 2017 die Berliner Koffer packen muss?

Schauws: Ich bin sehr zuversichtlich. 2013 lag die Partei bei 8,4 Prozent und ich bin auf Listenplatz 13 reingerutscht. Diesmal könnte es sogar Platz 9 oder 11 werden, die Liste wird im Dezember aufgestellt. Und ich bin mir sicher, dass wir Grünen deutlich stärker abschneiden werden. Nicht zuletzt, weil wir unangenehme Fragen stellen — und mutige Antworten liefern.

Ganz aktuell: SPD-Kollegin Petra Hinz aus Essen hat ihren Lebenslauf frisiert und bekommt jetzt viel Prügel. Zu Recht?

Schauws: Das ist spätestens jetzt keine Frage mehr. Jeder Mensch trägt die Verantwortung für sein Handeln.

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