Ausstellung in der Basedonart Galerie Bilder eines Brennpunkts

Düsseldorf · Fotograf Joel Stevenett porträtiert in der Galerie Basedonart die Szene am „Kotti“ in Berlin.

 Joel Stevenett hat die beiden Freundinnen vom Kotti, Nesha und Amelia, porträtiert.

Joel Stevenett hat die beiden Freundinnen vom Kotti, Nesha und Amelia, porträtiert.

Foto: Joel Stevenett

. Joel Stevenett, der 1980 in Kanada geboren wurde, ist neu in der Fotoszene. Seine Ausstellung in der Basedonart-Galerie ist eine deutsche Erstaufführung. Die Galeristin Dunja Evers entdeckte ihn im Internet. Stevenett hatte mit 17 Jahren von seinem Vater einen Katalog der Bechers geschenkt bekommen. Weder der Vater, ein Schreiner, noch der Sohn wussten zu diesem Zeitpunkt, wer die Bechers waren. Aber der Sohn war begeistert und tauschte im Jahr darauf seine Gitarre gegen eine analoge Kleinbildkamera. Inzwischen lebt er als Innenarchitekt in Berlin und taucht nun mit einer Großbildkamera jeweils mittwochs am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg auf, um an diesem sozialen Brennpunkt zu fotografieren. Die Porträts sind hart, ungewöhnlich, aber voller Respekt aufgenommen.

Der „Kotti“, wie das Kottbusser Tor im Volksmund heißt, ist kein Tor, sondern eine Kreuzung von sechs Straßen und einem Hochbahnviadukt, ein „Kaleidoskop der Parallelwelten, mit Junkies und Dealern, Migranten und einer Autonomen-Guerilla“, wie es einmal eine Berliner Tageszeitung schrieb. Seit den 1970er-Jahren wird das Viertel von Spekulanten heimgesucht, mit Betonblocks verunstaltet, während die Stadtverwaltung lediglich mit einer Fixerstube hilft. Die Nachfahren der Anarcho-Szene, die dort leben, wissen, worauf sie sich einlassen, wenn Stevenett sie ablichtet. Sie machen mit, fühlen sich gar geehrt. Und seine Assistentin Joana Nicolae, die ursprünglich aus Rumänien stammt, spricht mit ihnen, bis er endlich auf den Auslöser drückt.

Die Menschen auf den Bildern wirken vom Leben gezeichnet, aber erstaunlich vertrauensvoll, zuweilen gar selbstbewusst. Lydia hält ihre Bierflasche wie eine Trophäe in der Hand. Die Zigarette hängt lässig im Mundwinkel, das lange, blonde Haar bis auf die Kapuzenjacke. Die Augen sind leicht zugekniffen, als wollten sie die Welt um sich herum gar nicht sehen. Die junge Frau spielt selbst das Modell, sie hatte den Fotografen zunächst beobachtet und dann angesprochen. Sie wollte sehr bewusst an diesem Nachbarschaftsprojekt teilnehmen.

Am Ende des Projekts
sollen es 400 Fotos sein

Auch Lukas interessierte sich für das Geschehen des Fotografen, bevor er ihm Modell stand. Sehr direkt blickt er aus den Augen mit den blau geschminkten Lidern auf den Betrachter. Der Flaum über den schönen Lippen verrät sein zartes Alter. Das Gurtband über dem rechten Oberarm bestätigt, dass der Bizeps noch wachsen kann. Die Spielkartenmotive als Tattoos auf dem linken Oberarm bezeugen sein Schmuckbedürfnis auf dem Weg zu einem jungen Helden. Auf einem anderen Foto beweisen Nesha und Amelia, dass man mit und ohne Kopftuch, verhüllt und mit freiem Bauchnabel Freundschaft schließen kann. Die Mädchen demonstrieren, dass im Kiez jeder auf seine Fasson glücklich sein kann.

In den anfänglichen Bildern der Serie wird die Verbeugung des Fotografen vor seinen Vorbildern deutlich. Ahmed hatte im Krieg in Libyen ein Bein verloren. Und Stevenett erinnerte sich spontan an ein ähnliches Motiv, als August Sander einen beinamputierten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg aufnahm. Auch Nihat, der seinen Dönerspieß wie eine Kanone auf der Schulter trägt, verweist auf Berufsbilder von August Sander.

Fast 120 Fotos hat Joel in den vergangenen drei Jahren von dem Knotenpunkt in Kreuzberg gemacht, Knapp 50 Aufnahmen wählte er für die Serie aus. Am Ende des Projekts sollen es 400 Fotos sein, immer am selben Ort. Hierbei denkt er an den Japaner Hiroh Kikai, der über 40 Jahre lang immer an derselben Tempelwand seine Bilder machte und jetzt ebenfalls bei Basedonart ausstellt.

Unabhängig davon arbeitet Stevenett an einem Projekt aus seiner Zeit in Kanada weiter. Es handelt sich um den Rust Belt,den Rostgürtel Nordamerikas, mit Hamilton als ehemaliger „Steeltown“, seit dem Niedergang der Stahlindustrie ein rostiger Platz mit vielen Arbeitslosen. Ähnlich erging es dem brandenburgischen Eisenhüttenstatt, das seinen Niedergang gleichfalls mit der Firma Arcelor Mittal erlebte. In beiden Städten will er seine Typologie fortsetzen, auf der Suche nach dem Menschen der
Zukunft.

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