„Blinde Kuh“ im Dreischeibenhaus

Die eigenwillige Inszenierung des Mordfalls Otto-Erich Simon im Dreischeibenhaus verlangt dem Zuschauer einiges ab.

„Blinde Kuh“ im Dreischeibenhaus
Foto: Heinz Holzmann

Düsseldorf. Einst machte der Prozess um den verschwundenen Millionär Otto-Erich Simon, der „Mord ohne Leiche“, Furore. Gleiches gilt für die Inszenierung im Dreischeibenhaus, die am Freitag Premiere feierte. Es gibt keine Pause, keinen Vorhang, keinen Applaus, am Ende aber ein grandioses Finale auf der Dachterrasse des Dreischeibenhauses: der weite Himmel mit milchiger Mondsichel, der Blick über die glitzernde Stadt, vom 22. Stockwerk. Absolut sehenswert.

Es gibt da dieses Kritiker-Klischee: Die Inszenierung hat gefangen genommen. So gesehen: Ja, hat sie. Aber anders. Doch zurück auf Anfang: Das Dreischeibenhaus als Spielort ist großartig. Schon der Weg dorthin. Das Labyrinth der vergitterten Baustellen drum herum kommt der Inszenierung entgegen. Die bis ins Innere heulenden Fallwinde übertönen gespenstig die Sphärenklänge im Kopfhörer (Sounddesign Knut Jensen). Man sollte die Natur einfach mitspielen lassen.

Das soll ja laut Ankündigung auch der Zuschauer. Dafür erhält er im Foyer einen Zettel mit Verhaltensmaßregeln: Handy auf Flugmodus, bei Bedarf vorher noch schnell die sanitären Anlagen aufsuchen, sich während der Vorstellung die Augen verbinden lassen: „Sie werden dann an einen anderen Ort geführt.“ Theater to go.

Los geht’s. Wie an einer unsichtbaren Leine wird man in ein Spiel mit Wahrnehmungen und Empfindungen gezogen, kurzstreckenweise mit verbundenen Augen. „Blinde Kuh“ im Hochhaus, stramm geführt, von Guides, gefühlte Gefängniswärterinnen mit stechendem Gang und Blick. Unheimlich, wie sie den Besucher nur mit Blicken die Treppen runter schicken immer tiefer in den Abgrund, in Ur-Ängste. Phobiker müssen an dieser Stelle tief durchatmen.

Das Stück um den verschwundenen Kö-Millionär Simon ist wie schon der Prozess ein Stückwerk, die Zerstückelung des „Mord ohne Leiche“. Teile davon haben Regisseur Bernhard Mikeska und sein Team, die Dramaturgin Alexandra Althoff und der Autor Lothar Kittstein, scheibchenweise auf verschiedenen Ebenen im Dreischeibenhaus ausgelegt. Der Zuschauer wird zum Spürhund, der den Geruch von Geld, Gier, Glamour erschnüffelt.

Im Labyrinth der Unterwelt muss man — wie einst der Staatsanwalt — viele Türen öffnen, nur ganz wenige führen in Räume mit Menschen und Monologen, aus denen man nicht schlau wird. Im ersten Zimmer kauert ein Kerl (Rainer Philippi) auf der Matratze, kratzt sich am Bein: Aha, der Simon!? So erbärmlich soll er ja an der Kö gehaust haben. Im letzten Raum — oder ist es wieder der Erste? — spricht eine Frau (Tabea Bettin) in Männerklamotten den Text.

„Du bist pünktlich“, sagt er/sie, „Du bist ganz allein.“, dann „Nur wir beide allein“. Fragen, die keine Antworten erwarten. Die bringen nur aus dem Konzept. Nicht den Simon, nein, den Darsteller. Er hält kurz inne, faselt weiter komisches Zeug, schwärmt von einer Galerie 2000 an der Kö, schmeichelt („Ich mag Dich“), provoziert, versucht, sein Gegenüber mit Blicken zu bannen. Im nächsten Raum spielt jemand (Konstantin Lindhorst) auf dem Klavier. Vielleicht ein gedungener Mörder!?

Im tiefen Keller, ganz unten, liegt ein Mann mit zerrissener Hose und staubigen Schuhen auf dem nackten Boden — etwa der mutmaßliche Täter, der so scharf auf Simons Kö-Bauten ist? Der wird richtig aggressiv. „Ich hau Dir in die Fresse“, brüllt er. Er will mich töten, droht er (beeindruckend: Andreas Grothgar, der nebenan einst den Klaus Barbie gab). Schließlich stößt er Es (Freud?) von sich, mich unsanft aus dem Raum. Publikumsbeschimpfung mit Körperkontakt. Unangenehm auf der ersten Haut (die titelgebende Dritte ist die Architektur, das Haus, dazwischen die zweite, die Kleidung).

Alles Theater, oder? Performance? Psychodrama? So was wie Mördersuche im Grandhotel auf intellektuellem Niveau? Improvisationstheater ist es jedenfalls nicht. Genau besehen ist es sogar eine Art Rollentausch; die Schauspieler sind auch Zuschauer der Zuschauer, die versuchen, selbst eine Rolle spielen, oder vielleicht zu stummen Statisten erstarren.

Anregend ist der Abend allemal. Nach dem Runterkommen im Foyer klingt er noch nach im Oberstübchen des Zuschauers: Da öffnet sich im Geiste eine Tür zu einem weiteren Raum. Darin sitzt der findige obdachlos gewordene Intendant Wilfried Schulz und lacht sich mephistophelisch ins Fäustchen darüber, dass er so genial das Nachbarhaus besetzt hat am Gustaf-Gründgens-Platz.

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