Kultur „NS-Gedenkstätten geben den Opfern einen Namen, ein Gesicht“

Düsseldorf · 28 Erinnerungsorte gibt es in NRW. Die Zahl der Besucher steigt seit Jahren stetig, fast 400 000 waren es 2018. Land erhöht die Förderung.

 Eingangsbereich der Wewelsburg bei Büren im Kreis Paderborn. In der Wewelsburg befindet sich die Erinnerungs- und Gedenkstätte zur Geschichte der Schutzstaffel (SS) der NSDAP 1933 - 1945. Die 28 NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen hatten im vergangenen Jahr mit fast 400.000 so viele Besucher wie nie zuvor. Foto: dpa

Eingangsbereich der Wewelsburg bei Büren im Kreis Paderborn. In der Wewelsburg befindet sich die Erinnerungs- und Gedenkstätte zur Geschichte der Schutzstaffel (SS) der NSDAP 1933 - 1945. Die 28 NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen hatten im vergangenen Jahr mit fast 400.000 so viele Besucher wie nie zuvor. Foto: dpa

Foto: dpa/Matthias Tödt

Antisemitismus war immer schon da. Neu ist, dass der Hetze mit dem Internet eine Plattform zur Verfügung steht, um sich auf dramatische Weise auszubreiten. Das zeigt eine Studie der TU Berlin. Nicht nur bei Twitter und Facebook, sondern auch in Recherche- und Ratgeberportalen, in Fan-Foren und Youtube-Videos und auch in den Kommentarbereichen von seriösen Medienhäusern – überall findet sich judenfeindliches Gedankengut.

„Gegen Antisemitismus und Populismus hilft vor allem Information“, sagte Klaus Kaiser am Donnerstag in Düsseldorf. Der Parlamentarische Staatssekretär im NRW-Kulturministerium hatte zu einem Gespräch in den Landtag geladen, um die Arbeit der 28 NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen zu würdigen. Dabei hatte er auch den 27. Januar im Blick – an diesem Tag jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz zum 74. Male. Dieser Tag wurde 2005 von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ ausgerufen.

 Das Ölgemälde von Anatol Herzfeld zeigt einen Polizisten, der mit seiner Pistole einen Zivilisten hinrichtet.

Das Ölgemälde von Anatol Herzfeld zeigt einen Polizisten, der mit seiner Pistole einen Zivilisten hinrichtet.

Foto: Villa ten Hompel/Bild: Villa ten Hompel

„Gedenkstätten halten die Erinnerung an die Opfer wach, geben ihnen einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte“, so Kaiser. „Sie sind wichtig, denn die Generation der Zeitzeugen und Überlebenden, die uns über ihr Leben und das Widerfahrene Zeugnis ablegen kann, wird immer kleiner.“

Etat von zehn Millionen Euro tragen vor allem die Kommunen

In den vergangenen Jahren sind die Besucherzahlen der NS-Gedenkstätten stetig gestiegen – von 330 000 im Jahr 2016 über 356 000 im Jahr 2017 auf fast 400 000 in 2018. Geschätzt sind etwa ein Drittel der Besucher Jugendliche. Bei den Seminaren und Führungen liegt der Schüler-Anteil bei rund 70 Prozent.

Betrieben werden die Gedenkstätten ausschließlich in lokaler Verantwortung und mit einem hohen Maß an ehrenamtlicher Arbeit. Das Geld kommt zum größten Teil von den Kommunen. Insgesamt verfügen die Erinnerungsorte über einen Etat von rund zehn Millionen Euro. Das Land stockt seine Mittel in diesem Jahr um 20 Prozent auf mehr als 1,8 Millionen Euro auf. Dass das nicht immer so war, rief Werner Jung in Erinnerung. „Bis zum Jahr 2008 gab es nur 118 000 Euro“, sagte der Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, der zugleich Vize-Chef des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW ist.

Das Spektrum der Angebote an Rhein, Ruhr und Wupper reicht von großen Gedenkstätten wie dem Haus in Köln mit rund 90 000 Besuchern jährlich bis zu kleinen Erinnerungsorten wie dem Humberghaus in Dingden, das etwa 800 Besucher zählt und ausschließlich auf ehrenamtlicher Arbeit basiert.

Ein Beispiel für ganz besondere Orte ist die Villa ten Hompel in Münster. Dort findet sich ein Ölgemälde von Anatol Herzfeld. Einen Meter hoch und 80 Zentimeter breit – so groß ist die Leinwand, auf der sich Anatol Herzfeld mit dem Mord an mehr als 30 000 Menschen auseinandersetzt. Auf der Rückseite des Ölgemäldes ist der Titel „Babij Jar im September 1941“ vermerkt. In der Schlucht von Babij Jar bei Kiew ermordeten sogenannte Einsatztruppen aus SS und Polizei rund 33 000 Jüdinnen und Juden. Das Kunstwerk zeigt einen Polizisten, der mit seiner Pistole einen Zivilisten hinrichtet.

Herzfeld beschäftigt sich mit der Rolle der Polizei in der NS-Zeit – und das ist kein Zufall. Der Künstler ist ein Mann mit einer ungewöhnlichen Biographie. Er arbeitete als Verkehrspolizist und war zugleich Meisterschüler von Joseph Beuys an der Kunstakademie Düsseldorf. Ein Besuch der Ausstellung „Transparenz und Schatten. Düsseldorfer Polizisten zwischen Demokratie und Diktatur“ inspirierte ihn 2008 zu dem Gemälde. Seit 2015 ist es Teil der Dauerausstellung „Geschichte-Gewalt-Gewissen“ in der Villa ten Hompel in Münster.

Der Beitrag von Polizei und Verwaltung am Holocaust

Der Geschichtsort untersucht den Beitrag von Polizei und Verwaltung am Holocaust und anderen Verbrechen des NS-Regimes. Das gilt besonders für den Einsatz von Polizisten aus dem Rheinland und aus Westfalen hier in der Region und in allen Teilen des besetzten Europas. Die Forschung geht davon aus, dass 62 Prozent der Holocaust-Opfer indirekt oder direkt durch uniformierte Polizisten ermordet oder deportiert wurden.

Für diese Auseinandersetzung ist die Villa ten Hompel ein besonders geeigneter Ort. In der einstigen Fabrikantenvilla befand sich ab 1940 die Dienststelle des Befehlshabers der Ordnungspolizei im 6. Wehrkreis, der weitgehend identisch war mit dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens. Heute ist die Villa Gedenkstätte und hier hängt nun das Kunstwerk von Anatol Herzfeld, das sowohl den Tätern als auch den Opfern ein Gesicht gibt.

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