Der gute alte „Pong“ — wie ein Ururenkel von Eichendorffs Taugenichts

Sibylle Lewitscharoff lässt ihren alten Romanhelden wieder auferstehen. Heute erhält sie den Georg-Büchner-Preis.

Berlin. Das Blusenbügeln empfindet sie als beruhigend. Überhaupt sei sie ein „Ordnungskasper“, sagt Sibylle Lewitscharoff von sich selbst. „Ich freue mich, wenn etwas fertig ist, und man nicht weiter darüber nachdenken muss.“ Ein wenig verwunderlich ist es also schon, wenn die Schriftstellerin jetzt gerade rechtzeitig zur heutigen Verleihung des Georg-Büchner-Preises in Darmstadt in ihrem neuen Buch den guten alten „Pong“ wieder auferstehen lässt. Mit ihm betrat sie 1998 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb die große literarische Bühne und gewann prompt.

Im Krankenhaus wacht Pong auf, weil sein Versuch, auf den Mond zu springen, gescheitert ist, er in der Blutbuche hängenblieb. Sich mit der neuen Lage anzufreunden, fällt ihm nicht leicht. „Seine Geistigkeit litt in diesem Haus, in diesem öden Zimmer, sie litt auch unter dem fürchterlichen Essen.“ Über die großen „Weltveränderungsprojekte“ wie früher brütet er heute nicht mehr.

Stattdessen sinniert er über die kleinen Dinge des Lebens: den „Verdrussgenerator“ oder den „Widrigkeitsfänger“. „Der Apparat hätte ihm gerade jetzt gute Dienste leisten können, denn er hätte die üblen Essensgerüche in Nullkommanichts an sich gezogen und absorbiert.“ All diese kuriosen Gerätschaften sind in dem Bändlein „Pong redivivus“ auch abgebildet — nachgebaut und fotografiert von Friedrich Meckseper.

Da liegt er nun also mit einem gebrochenen Bein, der arme Pong, und dreht sich beim Denken auch noch immerzu im Kreis. Durch wilde „Gedankenjagden, Ideenstürme, das Schmieden von ausgetüftelten Plänen“ vertreibt er sich die Tage. „Vielleicht nahm er das Leben zu schwer?“ Doch bevor er der Frage weiter nachgehen kann, schweifen seine Gedanken auch schon wieder ab. Sind beim Kanarienvogel der Putzfrau, der seines Fleckes auf dem Kopf wegen „Gorbi“ heißt. Oder beim neuen Zimmernachbar: Kann Pong es wirklich wagen, den Fernseher einzuschalten? Oder liefert er dem Bettgesellen so nicht doch einen Freibrief, abendelang das Dschungelcamp laufen zu lassen?

Mit Pong hat Lewitscharoff einen Ururenkel von Eichendorffs „Taugenichts“ geschaffen. Auch die skurrilen Gestalten Jean Pauls kommen in den Sinn. Einer wie er ist sich selbst genug. Der Autorin geht es um die Lust am Fabulieren. Bei der Begründung des Georg-Büchner-Preises sprach die Jury davon, dass Lewitscharoff mit „Phantasie und Erfindungskraft“ die Grenzen der Realität sprenge.

Besser lässt sich das nicht ausdrücken. Sicher, solche Literatur setzt sich der Gefahr aus, zum Selbstzweck zu verkommen. Über Pong heißt es im Buch, er sei ein „Meister der Selbstverschwendung“. Das kann so auch für Sibylle Lewitscharoff stehen. Nicht immer weiß sie, wo sie mit ihren Wort-erfindungen und absurden Gedankenspielen hin will. Ihre Art zu schreiben ist nicht jedermanns Sache. Was aber macht das schon?

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