Interview „Das Coronavirus ist eine Gefahr für Wachstum und Arbeitsplätze“

Berlin · Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht das Coronavirus auch als wirtschaftliche Bedrohung.

 Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), äußrert sich im Interview zu den Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft.

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), äußrert sich im Interview zu den Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft.

Foto: dpa/Daniel Naupold

Das Coronavirus sorgt für Nervosität an den Märkten. Ein Interview über mögliche Auswirkungen für Deutschland mit Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Herr Fratzscher, die Bundesregierung erwartet in diesem Jahr ein Wachstum von 1,1 Prozent – fast eine Verdoppelung gegenüber 2019. Kann das Virus diese Rechnung durchkreuzen?

Marcel Fratzscher: Ja. Das Coronavirus ist durchaus eine Gefahr für Wachstum, Exporte und Arbeitsplätze in Deutschland. Wobei man allerdings sagen muss, dass die aktuelle Regierungsprognose mehr Schein als Sein ist. Die Verdoppelung resultiert in erster Linie daraus, dass wir 2020 drei Arbeitstage mehr haben. Das zeigt auch, wie fragil die wirtschaftliche Dynamik in Deutschland nach wie vor ist. Insofern kommt das Coronavirus auch wirtschaftlich zur Unzeit.

Ist das gewissermaßen der Fluch der Globalisierung?

Fratzscher: Wenn man so will, ja. Durch die Globalisierung verbreitet sich das Virus sehr schnell. Die Menschen reisen viel mehr als früher, die wirtschaftliche Abhängigkeit wächst. Gerade für Deutschland darf man aber auch die Vorteile der Globalisierung nicht unterschlagen. Durch unsere offene Volkswirtschaft profitieren wir sehr stark vom Wachstum anderer Länder, insbesondere Chinas. In guten wie in schlechten Zeiten ist man also eng beieinander.

Wie stark ist die deutsche Wirtschaft mit dem chinesischen Markt verbunden?

Fratzscher: China ist der größte Handelspartner Deutschlands. Weil Menschen in China jetzt weniger konsumieren, bricht zwangsläufig die Nachfrage ein. Das trifft vor allem deutsche Automobilhersteller, die gut ein Drittel ihrer Profite in China machen. Umgekehrt beziehen viele deutsche Unternehmen Vorleistungen aus China. Also kann es auch bei uns zu Produktionsengpässen kommen. Das heißt, die globalen Wertschöpfungsketten werden unterbrochen. Es gibt aber noch einen dritten Punkt.

Und der wäre?

Fratzscher: Das ist die enorme Unsicherheit. Deshalb auch die sehr nervösen Reaktionen der Finanzmärkte. Und das ist natürlich auch Gift für die Wirtschaft. Ich rechne damit, dass China ein großes Investitionsprogramm auflegt, also die Ausgaben erhöht, um die Wirtschaft zu stützen. Damit ließe sich der Schaden allerdings nicht beheben, sondern nur begrenzen.

Schon das Sars-Virus sorgte international für einen Abschwung. Aber es ging auch rasch wieder aufwärts…

Fratzscher: Richtig ist, dass China im ersten Quartal 2003 einen starken Einbruch seiner Wirtschaftsleistung verzeichnete. Minus zwei Prozent. Und bereits im folgenden Quartal wurde ein Prozent wieder aufgeholt. Das Sars-Virus kostete China also zirka ein Prozent Wachstum.

Könnte sich dieses Szenario jetzt wiederholen?

Fratzscher: Möglich ist das. Aber nur dann, wenn das Virus rasch eingedämmt werden kann. Zwischen der Ankündigung einer globalen Notlage durch die WHO und dem Höhepunkt der Ansteckungen lagen bei Sars nur etwa vier Wochen. Chinas Wirtschaft ist heute allerdings dreimal größer als vor 17 Jahren und damit für die Weltwirtschaft viel wichtiger als damals. Wenn das Wachstum in China um ein Prozent schrumpft, dann geht das Wachstum in der Euro-Zone um etwa 0,25 Prozent zurück. Auch darüber müssen wir uns im Klaren sein.

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