Koalitionspoker beginnt Fragezeichen nach der Österreich-Wahl

Wien (dpa) - Es ist ein Foto, das ihre Partner wohl gar nicht gerne sehen: Die Lebensgefährtin von ÖVP-„Wunderkind“ Sebastian Kurz und die Ehefrau von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache lächelten am Wahlabend wie beste Freundinnen in die Kamera.

Auf Frauen-Ebene scheint die schwarz-blaue Koalition in Österreich schon besiegelt. Doch genau diesen Eindruck versuchen Kurz und Strache seit ihren teils spektakulären Gewinnen bei der Parlamentswahl strikt zu vermeiden. Beide sind nach ihren Worten für alle Bündnis-Varianten offen. Mit anderen Worten: Der Koalitionspoker hat begonnen.

Die rechte FPÖ fühlt sich mit ihren 26 Prozent auf alle Fälle in der Rolle des Königsmachers. „Wir werden dort zu finden sein, wo wir am meisten Veränderung erreichen können“, lautet die Parole von FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Inhaltlich trennt die Konservativen und die FPÖ wenig. Der 31-jährige Kurz hat die ÖVP, die mit 31,6 Prozent fast acht Prozentpunkte zulegen konnte, gerade in der Flüchtlingsfrage so weit nach rechts gerückt, dass Strache kokett beider Stimmen addiert: „Fast 60 Prozent haben das FPÖ-Programm gewählt“, sagte er am Wahlabend. Im Wahlkampf hatte er sich als „Vordenker“ und Kurz als „Spätzünder“ bezeichnet.

Doch die FPÖ hat geradezu traumatische Erinnerungen an eine Koalition mit der ÖVP. Das erste sogenannte schwarz-blaue Bündnis vor 15 Jahren entwickelte sich für die Freiheitlichen zur Existenzbedrohung. Strategische Fehler, eigene Unprofessionalität, Skandale und schließlich sogar eine Parteispaltung - der FPÖ-Star Jörg Haider gründete 2005 im Zwist eine eigene Partei - führten zum dramatischen Absturz in der Wählergunst. Die FPÖ dümpelte 2006 bei elf Prozent.

Manche Zeitungen in Österreich setzten am Montag daher bewusst ein Fragezeichen in ihren Schlagzeilen ein. „Ein Kanzler mit 31?“, fragte „Die Presse“. „Der neue Wende-Kanzler oder doch Rot-Blau?“, titelte die Zeitung „Kurier“.

Die Sozialdemokraten als Wahlverlierer mit 26,9 Prozent scheinen jedenfalls nicht grundsätzlich abgeneigt, sich an der Macht zu halten. „Wir wollen Verantwortung übernehmen, in welcher Form wird sich weisen“, sagte SPÖ-Chef und Kanzler Christian Kern. Der 51-Jährige hat ohnehin sofort begonnen, das Verharren auf dem Niveau des Rekord-Tiefs von 2013 als achtbares Ergebnis umzuetikettieren. Die „Jetzt-erst-recht-Stimmung“ aus dem Wahl-Endspurt will er in die nächsten Wochen hinüberretten. Seine Person scheint unmittelbar nicht zur Disposition zu stehen. Wichtige Parteifreunde attestierten ihm am Montag demonstrativ ausgezeichnete Arbeit.

Es gibt gerade in der Sozialpolitik erhebliche Schnittmengen zwischen SPÖ und FPÖ. Und dass ein Bündnis des Zweit- und Drittplatzierten den Sieger aus den Angeln heben kann, wurde 1999 bewiesen. Damals hatte die SPÖ unter Viktor Klima mit großem Abstand die Wahl gewonnen, konnte sich aber nicht mit der ÖVP einigen. Die Konservativen schlossen schließlich mit der FPÖ eine Koalition und schickten so den Gewinner in die Opposition. Momentan gibt es aber vor allem von Seiten der Wiener SPÖ noch kategorischen Widerstand gegen Rot-Blau.

Kurz gibt sich schon aus taktischen Gründen gelassen und ziemlich unabhängig. Er wird nicht müde, auch eine Minderheitsregierung ins Spiel zu bringen. Wenn keiner mit ihm wolle, dann werde er sich seine Mehrheiten punktuell suchen. „Für viele Projekte braucht es eine Zweidrittelmehrheit, braucht es mehr als nur einen Koalitionspartner“, ist die Ansage des Mannes, von dem sich die Österreicher Veränderung im politischen Stil und beim effizienten Regieren erhoffen. Ende der Woche wird Kurz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den offiziellen Auftrag zur Bildung einer Regierung bekommen. „Der Nervenkrieg geht weiter“, orakelte die „Kronen Zeitung“.

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