Schwangerschaft Wenn Medikamente das Ungeborene gefährden

DÜSSELDORF · Heiner Beckmann, NRW-Chef der Barmer Ersatzkasse, fordert Arzneimittel-Dokumentation für Frauen im gebärfähigen Alter.

 Das Bild zeigt die Ultraschall-Untersuchung einer Schwangeren.

Das Bild zeigt die Ultraschall-Untersuchung einer Schwangeren.

Foto: Daniel Karmann/dpa/dpa-tmn/dpa

Wenn Schwangere Medikamente nehmen, so kann dies zur Schädigung des Ungeborenen führen. In der Embryonalphase besteht unter anderem ein Risiko von Fehlbildungen wie offener Rücken, Gaumenspalte oder Herzfehler. „Mehr als 60 Jahre nach dem Contergan-Skandal gibt es immer noch bedenkliche Informationslücken und bedenkliche Verordnungen an junge Frauen und Schwangere“, warnt Heiner Beckmann. Der Landesgeschäftsführer der Barmer Ersatzkasse (BEK) NRW sieht darin erhebliche Risiken für Ungeborene. In ihrem  Arzneimittelreport 2021 hat die Krankenkasse das Thema zum Schwerpunkt  gemacht.

Analysiert wurde die Arzneimitteltherapie von bei der Barmer versicherten Frauen von 13 bis 49 Jahre. Und dabei insbesondere die von etwa 66 500 Frauen vor, in und nach der Schwangerschaft (Bezugsjahr 2018). Außerdem wurden Anfang dieses Jahres rund 1300 Frauen  nach der Entbindung zu ihrer Arzneimitteltherapie in ihrer Schwangerschaft befragt.

Speziell ging es dabei um „teratogene Arzneimittel“: Substanzen, von denen man weiß, dass sie in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen in unterschiedlicher Intensität bzw. Wahrscheinlichkeit Fehlbildungen des Ungeborenen verursachen können. Zu solchen Mitteln gehört die Valproinsäure, die bei Epilepsie und Krampfanfällen sowie zur Stimmungsstabilisierung bei einer bipolaren Störung eingesetzt wird. Und Retinoide, die unter anderem bei schwerer Akne, Schuppenflechte und bei Hauttumoren zur Anwendung kommen. Auch bestimmte Krebsmedikamente oder Sexualhormone, Antibiotika, Rheumamedikamente oder Lithium zählen dazu.

Die Barmer als zweitgrößte gesetzliche Krankenkasse kann zwar nur die Ergebnisse ihrer eigenen Versicherten analysieren. Diese lassen sich aber auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen. Danach wurden im Jahr 2018 allein in NRW rund 316 000 Frauen im gebärfähigen Alter potenzielle Teratogene verordnet. (Potenziell, weil die ungewünschte Wirkung ja nur bei Schwangerschaft auftreten kann.) In fast 22 000 Fällen war es sogar ein Mittel, das als „unzweifelhaft stark“ in seiner Wirkung auf eine Schwangere eingestuft wird.

 Nun wird nur ein Bruchteil dieser Frauen schwanger und es gibt gewiss gute medizinische Gründe, die Mittel zu verabreichen. Aber da sind auch immer wieder ungewollte Schwangerschaften, die im Mittel erst in der fünften Schwangerschaftswoche bemerkt werden.  Da kann ein den Embryo gefährdendes Medikament längst aus Unkenntnis weiter eingenommen worden sein. Die Analyse von bei der Barmer versicherten Frauen hat ergeben, dass ein relativ großer Teil der Schwangeren, die vor der Schwangerschaft ein solches Mittel  angewendet haben, dies auch weiterhin in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft tat.

BEK-Chef Beckmann betont, dass die grundsätzliche Verordnung potenzieller Teratogene vor einer Schwangerschaft selbst nicht das Problem sei, vor allem, wenn verhütet wird. „Aber spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf kein Teratogen mehr zum Einsatz kommen, genau genommen muss der Schutz des Ungeborenen bereits davor beginnen“, sagt Beckmann.

Aber wie will man das erreichen? Durch Dokumentation der verordneten bzw. angewendeten Arzneimittel. Die bisher laut Beckmann unzureichende Dokumentation führe zu gefährlichen Informationslücken zu Beginn der Schwangerschaft, weil zum Beispiel die behandelnden Gynäkologen nicht  rechtzeitig von der vorherigen Verordnung der Mittel erfahren.  Beckmann: „Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation sollten einen Rechtsanspruch auf einen Medikationsplan erhalten. Und zwar schon ab dem ersten von ihnen eingenommenen Medikament.“

Schon bislang ist ein Medikationsplan generell bei mindestens drei dauerhaft verordneten Medikamenten vorgeschrieben. Es gibt ihn in Papierform, der Plan wird dem Patienten dann von der jeweiligen Arztpraxis zur Mitnahme ausgedruckt. Mittlerweile kann er auch auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden. So hat jeder Arzt einen Überblick über die vom Patienten eingenommenen Medikamente. Wegen der besonderen Gefährdung für das Ungeborene bei schon einem verordneten Teratogen fordert die BEK nun eine Ausdehnung auch auf diese Fälle – für Frauen im gebärfähigen Alter.

Übrigens: Auf einem von der Charité betriebenen Portal lässt sich in eine Suchmaske ein Wirkstoff oder Medikament eingeben und auf ein Risiko fürs Ungeborene überprüfen. 

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