Pakistans politische Lage ist fatal, aber immerhin stabil

Der Wuppertaler Unternehmer Jörg Mittelsten Scheid analysiert die Strukturen des Krisenstaates. Das Militär sieht er als Stabilitätsanker.

Wuppertal. Mehr als 7000 Kilometer ist Pakistan entfernt, spielt wirtschaftlich wie kulturell für Deutschland kaum eine Rolle. Und doch hat das asiatische Land seit mehr als zehn Jahren einen festen Platz in der deutschen Aufmerksamkeit. Grund ist das fragile Gemisch aus instabiler Regierung, Islamismus und einem großen Atomwaffenarsenal. Der Wuppertaler Unternehmer und Autor Jörg Mittelsten Scheid hat nun ein Buch über die Ursprünge und Perspektiven des Krisenstaates vorgelegt.

Der Titel „Pulverfass Pakistan — Eine Gefahr für den globalen Frieden?“ ist dabei weniger Fazit, als vielmehr die These, von der aus sich Mittelsten Scheid aufmacht, das Land mit sachlicher Unvoreingenommenheit zu betrachten.

Im Vordergrund steht die historische Dimension des Kunstproduktes Pakistan, dessen Entstehung der Autor anschaulich anhand der tiefen Zerwürfnisse von Hindus und Muslimen in der britischen Kolonie Indien darstellt. Pakistan entstand so nicht als Teil einer integrativen indischen Föderation, sondern aus der Konfrontation zum hinduistischen Teil Indiens. Dabei, schlussfolgert Mittelsten Scheid, hätte es viele Möglichkeiten für eine friedliche Kooperation gegeben, was Vertreibung, tausendfachen Tod und die folgenden Kriege zwischen den verfeindeten Nachbarn verhindert hätte.

Analytisch nähert sich der Autor der Gegenwart, nimmt das Vielvölkergemisch, das innenpolitische Machtgeflecht sowie die strategische Lage in Asien unter die Lupe. Seine Diagnose: fatal, aber stabil. Mittelsten Scheid begreift Politik als Nullsummenspiel, in dem die starke Position von Verwaltung und Militär automatisch zu einer schwachen Regierung führt, was Reformen nahezu unmöglich macht sowie Korruption und Clanwesen fördere. Auf der anderen Seite sieht er das Militär aber auch als Stabilitätsgarant gegen Islamismus.

Denn an dieser Schnittstelle entstehe die Bedeutung für den Rest der Welt. Auf der einen Seite fürchte man, dass ein radikalisiertes Pakistan zur Brutstätte für Terrorismus werde, auf der anderen, dass die Extremisten Zugriff auf die Atomwaffen erlangen könnten. Jörg Mittelsten Scheids Analyse kommt letztlich zu dem Schluss, dass ein Zerfall des Staates und damit das absolute Chaos nicht absehbar ist. Ebenso rechnet er nicht mit einem erneuten Konflikt der Atommächte Pakistan und Indien. Denn vor allem Indien richte sein Hauptaugenmerk auf China.

Geschickt wählt Mittelsten Scheid in seinem Buch die eigene Position: die des leidenschaftlich Interessierten. Dabei entscheidet er sich dafür, einen Überblick zu bieten, anstatt sich in Details zu verlieren. So dürfte es ihm gelingen, auch Leser anzusprechen, die Pakistan ohne Vorkenntnisse verstehen wollen. Karten, ein Glossar sowie weiterführende Literatur bestätigen, dass sich der Autor als Vermittler versteht. Er kehrt nicht auf seine ehemalige Position als Wissenschaftler zurück, sondern stellt sich auf Augenhöhe mit dem Leser.

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