Interview Abgeordnete Ekin Deligöz: "Frau Merkel ist abgetaucht"

Nach der Armenien-Resolution des Bundestages erhält die türkischstämmige Grünen-Abgeordnete Morddrohungen.

Ekin Deligöz - hier eine Aufnahme vom Grünen-Parteitag - erhält Morddrohungen.

Ekin Deligöz - hier eine Aufnahme vom Grünen-Parteitag - erhält Morddrohungen.

Foto: dpa

Berlin. Seit der Bundestag in der letzten Woche die Armenien-Resolution verabschiedet hat, werden türkischstämmige Abgeordnete bedroht und angefeindet. Der türkische Präsident Erdogan heizt die Stimmung noch an. Eine von den Betroffenen ist die Grüne Ekin Deligöz. Sie nehme die Drohungen sehr ernst, so Deligöz im Gespräch mit unserer Zeitung.

F: Frau Deligöz, welche Drohungen erhalten Sie wegen ihrer Zustimmung zur Armenien-Resolution?

A:
Es gibt Drohungen auf Facebook, bei Twitter, in Mails und durch Anrufe. Allerdings weiß ich, dass dies auch mit der sehr niedrigschwelligen Kommunikationsform der sozialen Netzwerke zu tun hat. Da hauen die Menschen sehr schnell etwas raus, ohne vielleicht einmal darüber nachzudenken. Die Hemmungen sind sowieso schon seit längerem gefallen.

F: Gibt es Anfeindungen, die Sie besonders beunruhigen?

A:
Die unverblümten Ermunterungen des türkischen Präsidenten Erdogan, uns Parlamentarier zu ächten. Das geht schon in die Richtung, uns für vogelfrei zu erklären. Außerdem bekümmern mich die bisher eher zurückhaltenden Menschen, die davon angestachelt werden. Darunter sind auch Leute, von denen man geglaubt hat, sie seien gute Bekannte oder sogar Freunde. Das ist extrem ernüchternd. Nicht, weil sie meine Meinung nicht teilen, das bin ich in der Politik gewöhnt. Sondern, weil sie das völlig überhöhen und daraus eine Existenzfrage machen.

F: Wie ernst nehmen Sie denn die Morddrohungen, die sie auch erhalten?

A:
Solche Drohungen sollte man immer ernst nehmen. Das ist alles sehr beunruhigend. Aber ich vertraue auf unsere Sicherheitsbehörden.

F: Welcher Vorwurf trifft Sie am meisten?

A:
Im Zuge dieser ganzen Diskussion um die Resolution wird mir auch vorgeworfen, ich würde mich nicht für Integration einsetzen. Das ist schon beleidigend, denn ich habe mich stets für gute gesellschaftliche Teilhabechancen eingesetzt - nicht zuletzt für Migranten. Auch, dass alles, was wir erreicht haben für die Rechte von Migranten, so ignorant weggewischt wird. Ich gehe auf Podien mit der AfD und setzte mich für Migranten ein. Viele, die mich jetzt beschimpfen, tun das nicht. Sie vermeiden die schwierigen Dialoge.

F: Erwarten Sie mehr Unterstützung von Kanzlerin Merkel?

A:
Frau Merkel ist abgetaucht. Erdogan will der Welt zeigen, dass seine Form der Demokratie-Interpretation die richtige ist. Er will klarmachen, Abgeordnete gehorchen der Regierung. In dem Moment, wo Frau Merkel uns aufgibt für eine wie auch immer geartete Diplomatie, schwächt sie das demokratische Prinzip der Unabhängigkeit des Abgeordneten und des freien Mandats. Das werfe ich ihr vor, und das enttäuscht mich. Für Erdogan ist das nur die Bestätigung seines Vorgehens. Deshalb muss Frau Merkel jetzt eingreifen und sich eindeutig zu Wort melden.

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