„Agenda zwanzig-zehn“ – ein Nachruf auf Schröders Projekt

Was als Aufbruch gedacht war, entfaltete nicht den erhofften Glanz. Die Reformen stürzten die SPD in die Krise.

Düsseldorf. "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern." Als Gerhard Schröder am 14. März 2003 seine Regierungserklärung vor dem Bundestag abgab, tauchte der Begriff zum ersten Mal auf: "Agenda 2010" - gesprochen "Agenda zwanzig-zehn".

Das klang damals in unseren Ohren modern und schick, signalisierte Aufbruch und Zukunft. Das Jahr 2010 war zwar noch weit weg, aber doch nicht so fern, dass das Versprechen eines abgespeckten, aber dann wetterfesten Sozialstaates als bloße Propaganda abgetan werden konnte.

Doch das Wort entfaltete kaum den Zauber, den seine Erfinder sich erhofften, und heute gilt "Agenda-Politik" unter führenden Sozialdemokraten als Schimpfwort, das fast Hautausschlag auszulösen in der Lage ist. Wie ein Pudding, der sein Haltbarkeitsdatum überschritten hat. Man sieht, auch Begriffe haben ihre Karriere und verändern dabei ihren Gefühlswert.

Noch kurz vor Schröders Regierungserklärung im März 2003 fehlte dem Kürzungsprogramm ein griffiger Titel. Der Inhalt entsprach weitgehend einem "Forderungskatalog" der Bertelsmann-Stiftung an die neue Bundesregierung, der kurz zuvor in der Zeitschrift "Capital" veröffentlicht worden war. Glaubt man dem Kanzler, so erfand seine Frau Doris Schröder-Köpf nur wenige Tage vor dem Bundestagsauftritt den Marken-Namen: "Agenda 2010".

Agenda war damals ein Modewort, die EU hatte zwei Jahre zuvor die "Lissabon-Agenda" beschlossen, ein Arbeitsprogramm, das bis 2010 die EU "zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt" machen sollte - auch eines dieser Projekte, dem heute nicht einmal eine anständige Beerdigung zuteil wird.

Doch damals war die Pressestelle der Bundesregierung begeistert. "Wir dachten, dass diese Jahreszahl positive Assoziationen weckt: Hoffnung und Optimismus", erinnerte sich jetzt der damalige Vize-Regierungssprecher Thomas Steg in der FAZ. Steg, inzwischen selbst auf Job-Suche, musste aber bald umsteuern.

Der von Schröder eingeführte Sprachgebrauch "zwanzig-zehn" konterkarierte die beabsichtigte Wirkung, wirkte zu kalt und zu technisch. "Das klang, als ob man etwas halbiert", so Steg im Rückblick. "Erst zwanzig, dann nur noch zehn. Nur noch halb soviel Sozialstaat wie vorher." Die Regierungssprecher sprachen deshalb bald nur noch von der "Agenda zweitausendzehn". Aber was einmal in der Welt ist, verschwindet nicht einfach durch ministerielle Sprachregelung.

Immerhin sei es gelungen, den Begriff Agenda nicht allzu sehr in den Strudel der Sozialproteste geraten zu lassen, darin sieht Steg einen Teilerfolg seiner Bemühungen. "Hartz IV", nicht "Agenda 2010" war das Reizwort bei den Massenprotesten.

Dass der Begriff "Agenda" dennoch gerade und vor allem unter Sozialdemokraten einen derart negativen Klang hat, liegt deshalb wohl nicht allein am Inhalt, sondern vor allem an der Art ihrer Durchsetzung. Die Begriffe "Agenda 2010" und "Basta-Kanzler" gehören eng zusammen, das eine war ohne das andere nicht zu haben.

Schröder hatte seine Politik seiner Partei ohne Diskussion aufgezwungen, immer wieder verknüpft mit Rücktrittsdrohungen und der Vertrauensfrage. Solange die Partei noch an den Erfolg glauben konnte, ertrug sie die Demütigung. Als der Erfolg ausblieb, blieb allein die Demütigung. Auch das gehört zur "Agenda 2010", die, selbst wenn sie jetzt auch rein formal ihr Haltbarkeitsdatum erreicht hat, noch immer nachwirkt.

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