Uni-Tal: Scheffler, Herr Ribbeck und das Lieblingsgedicht der Deutschen

Literaturwissenschaftler Michael Scheffel stellt am Donnerstag Herrn von Ribbeck vor.

Wuppertal. Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Ein Birnbaum in seinem Garten stand, Und kam die goldene Herbsteszeit Und die Birnen leuchteten weit und breit, Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl, Der von Ribbeck sich beide Taschen voll. Und kam in Pantinen ein Junge daher, So rief er: "Junge, wiste ’ne Beer?" Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn".

Theodor Fontane schuf das beliebteste Gedichte der Deutschen, das am Donnerstagabend Thema der Vortragsreihe UniTal sein wird. Referent ist der Literaturwissenschaftler Michael Scheffel, Prorektor der Bergischen Uni. Er ist nicht nur ausgewiesener Fontane-Kenner, sondern auch selbstbewusst genug, seinen Zuhörern den Nachweis liefern zu können, dass die Germanistik, speziell die Literaturwissenschaft alles andere als eine dem Leben entrückte Wissenschaft ist. "Sie steht vielmehr mitten in der sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit", sagt Scheffel und nennt die Birnbaum-Ballade als passendes Beispiel.

"Nachdem das Gedicht 1889 veröffentlich wurde, ist Ribbeck zu einer Wallfahrtsstätte geworden. Nach der Wiedervereinigung 1989 pilgerten Tausende aus dem Westen ins Havelland und machten den Birnbaum von Ribbeck zu einem Symbol für die deutsche Einheit." Ein ganz gewöhnlicher Ort könne so zu einem besonderen Ort werde - allein durch die Kraft der Literatur.

Fontane entfaltet seine Wirkung bis heute - nicht nur in Abiturprüfungen. "Die Birnbaum-Ballade ist immer aktuell, das macht ihre ganz besondere Qualität aus", erklärt Scheffel. "Jede Epoche hatte ihre ganz speziellen Fontane-Bilder." In der Weimarer Republik beriefen sich Konservative wie Revolutionäre auf den Dichter, sogar die Nazis missbrauchten ihn für ihre Zwecke.

Dabei kommt das Gedicht vom alten Ribbeck doch eher schlicht daher. "Aber nur auf den ersten Blick", so der Wissenschaftler. "Das Werk ist sehr komplex. Es geht um Alt und Neu, um das Prinzip der Erbfolge, es erzählt vom Ende des Patriarchen, der seinen wertvollsten Besitz öffentlich macht."

Professor Michael Scheffel weiß noch viel mehr zu erzählen über die Herren Ribbeck und Fontane und deren Folgen in Literatur, Politik und Wissenschaft.

Die ganze Geschichte zu "Von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland - Theodor Fotane und dieFolgen in Literatur, Politik und Wissenschaft" gibt es bei UniTal am Donnerstag. Das komplette Gedicht gibt es hier zum Nachlesen:


Herr von Ribbeck auf Ribbeckim Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam diegoldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beideTaschen voll.
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er:"Junge, wiste 'ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "LüttDirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn".

So ging es vielJahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnenweit und breit;
Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus demDoppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern undBündner mit Feiergesicht
Sangen "Jesus meine Zuversicht".
Unddie Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu'ne Beer?"

So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, derknausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtrauen gegen den eigenenSohn,
Der wußte genau, was er damals tat,
Als um eine Birn'ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
EinBirnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gehen wohl auf undab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in dergoldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Undkommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'neBeer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
Kummman röwer, ick gew' di 'ne Birn."

So spendet Segen noch immer dieHand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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