Tante-Emma-Laden in fünfter Generation: Die Willings am Ölberg

Das Lebensmittelgeschäft ist aus dem Quartier nicht wegzudenken: Vor fast 150 Jahren wurde es gegründet.

Nordstadt. Die Hand ist dick verbunden. Ein Arbeitsunfall sozusagen. „Ein Sturz. Ist passiert, als ich Flaschen in den Keller bringen wollte“, erzählt Horst Werner Willing und packt weiter Waren in die Regale. „Zum Glück war eine Stammkundin im Laden, die Krankenschwester ist.“ Wegen der Schnittverletzung krank feiern? Das kommt bei Willing nicht in Frage. Dann wird halt auf die Zähne gebissen. Was sollen die Ölberger denn machen, wenn „ihr“ Supermarkt geschlossen hätte.

„Sie sagen oft zu mir: ,Mach’ keinen Blödsinn und den Laden zu’“, sagt er schmunzelnd. Na gut, bei einem 68-Jährigen darf die Frage nach dem Ruhestand dann mal kommen. Doch Willing, die „Tante Emma“ vom Grünewalder Berg, denkt gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. „Es macht doch Spaß. Und ganz ehrlich: Nur mit der Frau auf dem Sofa sitzen, das wäre doch zu langweilig.“ Dann wirft er schnell einen liebevollen Blick zu Rita, die an der Kasse sitzt. Ist ja gar nicht so gemeint.

Der kleine Supermarkt, der eigentlich nur aus einem Gang vorbei an vollen Regalen und der Fleischtheke besteht, ist echte Familiensache. Horst Werner und Rita sind jeden Tag da, außerdem hilft der Sohn regelmäßig, wenn zum Beispiel die Getränke geholt werden müssen. Aber den Laden übernehmen? „Das will er dann doch nicht“, sagt der Vater.

Irgendwann wird also Schluss sein mit der Tradition. In der fünften Generation führt er den Laden jetzt. „So kleine Geschäfte wie meins gibt’s kaum noch. Unter 400 Quadratmeter lohnen sie sich heutzutage gar nicht mehr.“ Kunden wollen ein möglichst breites Sortiment, ist der Leitspruch. „Bei mir gibt es aber halt nicht 50 verschiedene Sorten Haarsprays“, sagt Willing. „Und wenn jemand kommt, der Babynahrung verlangt, bin ich ehrlich: ,Da müssen Sie woanders hin.’“ Wer Extrawünsche hat, zum Beispiel mal ein besonderes Brot möchte, für den bestellt Willing aber im Voraus.

Erschwerend kommen für kleine Läden Miet- und Personalkosten hinzu, die müsse man als Besitzer ja erst mal wieder reinholen. Bei Willings funktioniert das nur, räumt der Chef ein, weil das Haus der Familie gehört und Rita und Horst Werner die einzigen „Angestellten“ sind. Das, was der Laden einbringt, sei „ein schönes Zubrot zur Rente“.

Willing ist längst mehr Nachbar als Supermarkt. Mit der Kundschaft wird oft auf Platt gekallt. „Die meisten wollen mit dem Vornamen angesprochen werden“, sagt der 68-Jährige. Gut ein Dutzend Anwohner hat seine Schlüssel im Laden hinterlegt, „falls die sich mal aussperren“. Auch Pakete werden selbstverständlich angenommen. Die bunte Mischung der Ölberger spiegelt sich auch in der Kundschaft wider. Als die Bügeleisenhäuser renoviert wurden, zogen dort wohlhabende Leute ein, erzählt Willing. „Alle haben gesagt: Bei dir kaufen die eh nicht ein. Aber die kommen doch“, sagt er ein wenig stolz.

Wenn morgens der Laden aufmacht, steht die Kundschaft bereits vor der Tür und wartet. Auch der Herr, der sich gerade mit ein paar Kleinigkeiten eindeckt, ist fast jeden Tag da. „Alles was ich brauche, kriege ich hier“, sagt er, und fügt hinzu. „Hier kann man auch mal anschreiben lassen.“ Viele erinnern sich auch an Willings Mutter, die mit 95 Jahren noch an der Kasse saß. „So lange werden wir das aber nicht machen“, verrät Horst Werner Willing. Solange es geht, mache er aber weiter. Trotz Zwölf-Stunden-Schichten und maximal fünf Tagen Urlaub am Stück. „Mehr geht einfach nicht, dann müsste ich wegen der Haltbarkeit zu viele Waren wegschmeißen.“

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