Uellendahl. Jüdische Mutter gefunden und geehrt

Wuppertal · Namenlos Begrabene erhält nach 80 Jahren einen Grabstein am Friedhof am Weinberg.

 Auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg legten Marc Albano-Müller und Steinmetzin Dagmar Kessler (vorn) die neue Grabplatte für Sara Bach. Zur Einweihung kamen Rabbiner Dr. David Vinitz, die Nachfahren Bettina Lohaus und Volker Schmidt sowie Gemeindevorsteher Leonid Goldberg (hinten v.l.).

Auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg legten Marc Albano-Müller und Steinmetzin Dagmar Kessler (vorn) die neue Grabplatte für Sara Bach. Zur Einweihung kamen Rabbiner Dr. David Vinitz, die Nachfahren Bettina Lohaus und Volker Schmidt sowie Gemeindevorsteher Leonid Goldberg (hinten v.l.).

Foto: Fischer, Andreas H503840

80 Jahre lang war das Grab der Sara Bach geb. Henoch (1871–1939) ohne Grabstein geblieben. Die Metzgersgattin und Mutter von mindestens 10 Kindern starb in dunkler Zeit von Nationalsozialismus und Judenverfolgung. Erst vor kurzem konnte ihr Grab auf Initiative eines Nachfahren, David Auerbach aus Florida, auf dem Elberfelder jüdischen Friedhof am Weinberg ausfindig gemacht werden. Auf Wunsch Auerbachs sollte es eine neue, erste Grabinschrift erhalten. Zu deren Einweihung kamen jetzt Beteiligte und Nachfahren am Weinberg zusammen und gedachten der Verstorbenen mit einem Kaddisch, einem jüdischen Totengebet.

Im Sommer vergangenen Jahres war Lungenarzt Dr. David Auerbach, 76, mit Sohn und Enkel zu einem ersten Besuch nach Wuppertal gekommen (die WZ berichtete). Die Familie seines Vaters hatte über Generationen in Langerfeld als Metzger gelebt. Auch seine Mutter Ruth geb. Bach stammte aus einer Metzgersfamilie und kam aus Mettmann. Ruth musste Deutschland 1938 in überstürzter Flucht verlassen und ließ in Mettmann ihre alte verwitwete Mutter Sara zurück. Was wurde dann aus Sara Bach?

Das unbekannte Schicksal der Großmutter hatte Auerbach lange beschäftigt. Ihr Tod musste irgendwann um 1940 gewesen sein, zu schrecklicher Zeit zwischen der „Kristallnacht“ von November 1938 und den beginnenden Massendeportationen in die Konzentrationslager ab 1941. Auf den Todeslisten der Nazis findet sich ihr Name nicht. Auch ließ sich keine Spur von ihr auf dem kleinen jüdischen Friedhof in Mettmann finden. Hier hätte man sie an der Seite ihres Mannes vermutet. Metzger Karl Bach starb einige Jahre früher und noch „zu guter Zeit“, kurz vor Hitlers Amtsantritt. Sein Grabstein ist erhalten.

Bei der Spurensuche erhielt Auerbach tatkräftige Unterstützung durch einheimische Geschichtsforscher. Mettmanns Stadtarchivarin Marie-Luise Carl weitete die Suche auf die jüdischen Friedhöfe der Nachbarschaft aus. In den Friedhofslisten Wuppertals wurde sie tatsächlich fündig. Ein Begräbnis der Sara Bach ist hier im Oktober 1939 vermerkt. Was die Witwe zuletzt allein an den fremden Ort führte, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Viele ältere und alleinstehende Juden wurden in dieser Zeit entwurzelt, suchten ihr Heil noch in der Anonymität fremder Orte, wählten oft aus Verzweiflung den Freitod.

Auf dem denkmalgeschützten jüdischen Friedhof am Weinberg, am Südhang der Stadt oberhalb der Grenze zwischen Barmen und Elberfeld, ließ sich das gesuchte Grab zunächst nicht auffinden. Denn es war ohne Inschrift und Grabstein. Die meisten jüdischen Gräber in Deutschland ab etwa 1939 blieben namenlos. Die jüdischen Gemeinden hatten sich damals weitgehend aufgelöst, es gab keine jüdischen Steinmetze mehr, Juden konnten keine Grabsteine mehr in Auftrag geben. Die Verstorbenen wurden meist nur noch im Boden verscharrt, erinnerlich einzig über einen Vermerk im Friedhofsbuch.

Ein solches Buch überdauerte in Wuppertal mit großem Glück die Wirrnisse des 20. Jahrhunderts. Das Buch nahm sich der Schwelmer Heimatforscher Marc Albano-Müller vor, der im letzten Sommer Gastgeber der Familie Auerbach in Langerfeld und Schwelm gewesen war. Es gelang ihm, die gesuchte Grabstelle aus den Namen und Grabsteinen der erhaltenen Nachbargräber abzuleiten. Einem historischen Zufall gedankt, war Sara Bach nicht in der üblichen chronologischen Ordnung begraben worden, sondern an einer Leerstelle zwischen älteren Gräbern. Deren noch erhaltene Grabsteine führten zweifelsfrei zum gesuchten Ort.

Aus Amerika ließ David Auerbach seine große Freude über den Sucherfolg mitteilen. Er ergänzte den Wunsch, der wiedergefundenen Großmutter einen Grabstein zu stiften. Seiner Bitte nachkommend, gestaltete Albano-Müller eine Grabinschrift und ließ sie in Granit umsetzen. Die Aktion wurde wohlwollend genehmigt durch die zuständige Jüdische Gemeinde Wuppertals mit Vorsitzendem Leonid Goldberg und Rabbiner Dr. David Vinitz.

Zur Einweihung der neuen Grabplatte kamen auch Gerd Volker Schmidt mit Tochter Bettina Lohaus nach Wuppertal, beide Nachkommen von Sara Bach. Schmidts Großmutter Karoline war einst die älteste Tochter der Bachs. Sie überlebte den Holocaust vor allem deshalb, weil sie einen Christen geheiratet hatte. Schmidt lebt noch immer in Mettmann und freut sich über die Initiative seiner amerikanischen Verwandten: „Der Grabstein ist auch etwas späte Gerechtigkeit. Sara Bach hat schreckliche Dinge und eine fürchterliche Zeit erlebt. Vielleicht trägt der Stein ja etwas dazu bei, diese Erinnerung wachzuhalten.“

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