„Gesundheit ist keine Ware und der Patient kein Kunde“

Interview: Der Kardiologe Prof. Dr. Hartmut Gülker verlässt das Herzzentrum, das er mit aufgebaut hat - und spricht Klartext.

Wuppertal. Eigentlich könnte sich Hartmut Gülker zur Ruhe setzen. Doch das ist nicht sein Ding. Stattdessen wechselt der bisherige Direktor der kardiologischen Abteilung des Wuppertaler Herzzentrums den Job.

Herr Gülker, es sind nur noch wenige Tage für Sie in diesem Büro. Schon wehmütig?

Hartmut Gülker: Im Moment registriere ich es noch gar nicht so. Aber ich gehe ja nicht in den Ruhestand, sondern beginne eine neue Aufgabe. Darauf freue ich mich schon sehr.

Wie geht es denn für Sie weiter?

Gülker: Ich beginne am ersten Dezember einen Management-Job bei den Sana-Kliniken mit Sitz in München. Dort bin ich deutschlandweit für die Weiterentwicklung der kardiovaskulären Einrichtungen in den Verbund-Kliniken zuständig. Das heißt: Gucken, wie es dort läuft, welche Schwächen es gibt und was verbessert werden kann.

Sie hängen also den Arztkittel an den Haken und kehren Wuppertal den Rücken.

Gülker: Nein, nicht ganz. Für ausgewählte Patienten werde ich noch Sprechstunden abhalten. Auch dem Bergischen Land bleibe ich treu. In Remscheid wird mein NRW-Büro sein und dann leben auch noch zwei meiner Kinder in Wuppertal.

Warum genießen Sie denn nicht Ihren Ruhestand und gehen beispielsweise segeln?

Gülker: So etwas liegt mit vollkommen fern. Für mich wäre es vollkommen künstlich, plötzlich gar nichts mehr zu machen. Auf dem Golfplatz stehen und Löcher zählen oder auf einem Kreuzfahrtschiff sitzen - nein, das gibt mir nichts.

Nun ja, verständlich wäre es ja schon. Ihre Arbeit ist doch ziemlich stressig.

Gülker: Wenn ich die Arbeit als Last empfände, würde ich wahrscheinlich nicht weitermachen. Aber so ist es nicht. Es ist für mich keine auferlegte Arbeit oder Stress, es ist einfach mein Leben. Klar, vielleicht ist man auch mal müde, aber das ist dann auch alles.

Seit 1988 sind Sie in Wuppertal, haben das Herzzentrum aufgebaut. Wie war Ihr erster Eindruck von der Stadt?

Gülker: Dass ich nach Wuppertal kam, war ein Zufall. Es gab die offene Stelle und ich habe mich beworben. Aber ich fand die Stadt besonders landschaftlich sehr schön. Dass die Stadt in den folgenden Jahrzehnten so einen Niedergang erleben würde, hätte ich nicht gedacht. Beruflich gab es einige Widerstände zu überwinden. Die Stadt hatte kein Geld um das Herzzentrum einzurichten; alle waren erstmal dagegen, auch die Ärztekammer. Aber es gab starke Helfer. Mit Hilfe des damals gegründeten Fördervereins konnten erste wichtige Anschaffungen wie etwa der Kauf einer Herz-Lungen-Maschine gemacht werden.

Dank Ihres Engagements ist die kardiologische Abteilung der Klinik eine der fünf größten in Deutschland. Etwa 12 000 Patienten werden jährlich behandelt. Welche medizinischen Entwicklungen in der Abteilung sind für Sie die wichtigsten?

Gülker: Da gibt es aktuell zwei. Zum einen beherrschen wir spezielle CTO-Techniken (Anm. d. Red.: CTO, Rekanalisation chronischer Koronarverschlüsse), die nur in Japan erlernbar sind. Damit können bereits seit Jahren verschlossene Herzkranzgefäße wieder geöffnet werden. Bypässe können dadurch vermieden werden. Zum anderen haben wir zuletzt den Herzklappeneinsatz durch Katheter gut voran gebracht. Eine ganze Menge Patienten erhalten jetzt schon Herzklappen unter Einsatz von Herzkatheter-Techniken im Herzkatheterlabor. Ihre Zahl wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen.

Und worauf sind Sie persönlich stolz?

Gülker: Ich bin sehr zufrieden damit, dass unsere Arbeit von den Patienten und der Bevölkerung als im Durchschnitt positiv, hilfreich und fürsorglich wahrgenommen wird. Patienten kommen aus der gesamten Region und wollen gut versorgt werden. Obwohl es so einfach klingt, ist das nicht immer leicht zu erreichen. Bei meinen Mitarbeitern freue ich mich, dass im Laufe der Jahre 15 von ihnen selbst leitende Ärzte wurden, drei davon in Herzzentren.

Probleme in der Patientenversorgung sind häufig systembedingt. Was halten Sie von der aktuellen Gesundheitsreform?

Gülker: Im Gesundheitswesen gibt es zwei sehr problematische Entwicklungen. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass ein kleiner, wohlhabenderer Teil der Bevölkerung gut versorgt wird. Der größere Teil hingegen läuft Gefahr, schlechter versorgt zu werden. Die Marktmechanismen mit ihrem innewohnenden Zwang zu jährlichen Zuwachsraten ( "mehr Fälle!", "höherer Fallwert!" ) treten immer mehr in den Vordergrund. Dies halte ich für den falschen Weg. Für mich ist der Mensch kein Produkt, Gesundheit keine Ware und der Patient kein Kunde.

Warum wehren sich die Ärzte dann nicht?

Gülker: Sie stehen unter einem enormen Druck. Viele Ärzte werden nicht adäquat bezahlt. Manche Praxen funktionieren nur noch, weil sie viele private Patienten haben. Auf Dauer geht das nicht gut. Die Ärzte haben keine Lust mehr und so entsteht langfristig ein Mediziner-Mangel. In den politischen Ausschüssen sind meiner Meinung nach zu wenig Fachleute aus der Praxis dabei. Sonst würden die Reformen anders aussehen.

Vereinfacht formuliert bedeutet es, dass Privatpatienten bei Ihnen besser behandelt werden.

Gülker: Nein, in verantwortungsvoll geführten Kliniken wurde und wird kein Unterschied gemacht. Zwar sind Privatpatienten besser untergebracht, aber in der Sache werden keine anderen Entscheidungen getroffen. Wer als gesetzlich Versicherter jedoch einen Termin haben möchte, muss in der kardiologischen Fachpraxis oft drei Monate warten, während ein Privatpatient jederzeit einen Termin bekommt. Die Befürworter sagen zwar, dass bei akuten Fällen die Notfallregelung greift, aber viele dringende Fälle sind nicht unbedingt sofort als Notfall zu erkennen. Die Situation ist also weit vom Optimum entfernt.

War es für Sie schon immer klar, dass Sie Arzt werden wollen?

Gülker: In meinem Leben gab es viele Dinge, die zufällig passierten oder sich einfach ergeben haben, so auch mein Medizinstudium. Ich wusste gar nicht so genau, was ich machen wollte und habe dann Medizin studiert. Den Beruf übe ich jedoch sehr gerne aus und habe mich vollkommen damit identifiziert. Ich bin mir aber sicher, dass ich auch in einem anderen Beruf Leidenschaft entwickelt hätte.

Sie beteiligen sich seit einigen Jahren an einem Ausbildungsprogramm für irakische Ärzte. Brauchen Sie niemals Urlaub?

Gülker: Das geht nahtlos in meine Freizeit über. Gerade lerne ich arabisch. Ich interessiere mich auch persönlich für die Kultur, deshalb ist das keine Belastung für mich. Wenn ich in den Nahen Osten reise, dann nie wie ein Tourist. Ich will das Land wie ein Einheimischer erleben.

Zum Schluss noch eine Anekdote. Was ist für Sie typisch an Wuppertal?

Gülker: Ich muss zugeben, dass ich anfänglich ziemlich genervt von den Patienten war, als ich aus Münster kam. Die Leute dort sagten nie viel. Sie wussten: "Okay, ich habe fett gegessen und geraucht, jetzt sind meine Herzkranzgefäße verstopft." Hier ist es anders. Die Leute wollen immer diskutieren und hadern mit ihrem Schicksal, nach dem Motto: "Ich war doch immer redlich, habe mir nichts zu Schulden kommen lassen und jetzt das." Ich habe mir diese Unterschiede immer mit den regionalen Konfessionsunterschieden erklärt. Das im Bergischen im Prinzip etwas andere Verhalten hat aber auch Vorteile; es ist Basis für viele Fragen, für Diskussionen und damit auch für eine besseres Verständnis und am Ende für eine bessere Medizin.

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