69. Klassentreffen: Elberfelder Mädels sehen sich seit 1947

Fast 70 Sommer liegt der Schulabschluss zurück, doch Jahr für Jahr trifft sich eine Schar ehemaliger Kameradinnen von der früheren Mädchenschule Reichsgrafenstraße in Wuppertal. Die Jüngste ist 85.

69. Klassentreffen: Elberfelder Mädels sehen sich seit 1947
Foto: Doris Koslowski, geb. Noss

Südstadt. „Wir hatten gemeinsam Heimweh nach Wuppertal“, sagt Doris Koslowski über sich und ihre Klassenkameradinnen. Weit weg von zu Hause, ins ferne Thüringen, waren die Schülerinnen der Mädchen-Mittelschule Süd an der Elberfelder Reichsgrafenstraße nach dem Barmer Angriff 1943 evakuiert worden. Eine intensive Zeit für die Heranwachsenden. Gemeinsam verbrachte Schuljahre, Kriegswirren, Evakuierung: „Das sind Dinge, die zusammenschweißen“, sagt die gebürtige Wuppertalerin heute.

Deshalb sei klar gewesen, dass man den Kontakt nicht verlieren würde. Als die etwa 40 Mädchen 1947 die Schule verließen, lagen große Teile Deutschlands noch immer in Schutt und Asche. Ein harter Winter war 1946 über das zerstörte Nachkriegs-Europa gegangen, Familien warteten sehnsüchtig auf die Heimkehr ihrer Männer, Brüder und Väter aus Lagern und Gefängnissen. „Aber wir waren schließlich junge Mädchen, und das Leben lag vor uns“, sagt Doris Koslowski.

Ausbildung, Berufe und Familiengründungen trennten die Lebenswege, und doch zeigte sich früh, dass die Klassenkameradinnen tatsächlich Kontakt hielten. „Wir hatten von Anfang an ein enges Verhältnis, was natürlich auch an der gemeinsam erlebten Zeit in Thüringen lag.“

Den Elberfelder Angriff hatten die Mädchen im ländlichen Osten sicher überstanden - doch die Angst um die Lieben in Wuppertal war groß. Flucht, Vertreibung, Not und Entbehrung: „Dafür haben wir sicher noch ein ganz anderes Verständnis als die Nachkriegsgenerationen“, sagt die Seniorin nachdenklich. „Wir können nachvollziehen, wie sich Kriegsopfer fühlen müssen.“

Doris Koslowski

Die heute 86-Jährige organisiert regelmäßig das Treffen der Elberfelder Kameradinnen aus den Jahrgängen 1929/1930. „Seit 1947 treffen wir uns — nicht eine Pause hat es in all den Jahrzehnten gegeben.“ Wirklich jedes Jahr sind die Damen aus allen Teilen Deutschlands und zeitweise sogar aus Australien angereist.

40 Teilnehmerinnen hatte das Treffen noch vor Jahren. „Mittlerweile musste ich zwar leider immer wieder einen Namen von der Liste streichen“, sagt die Organisatorin der Zusammenkünfte. Doch nach wie vor bringt sie immer im Spätsommer oder Frühherbst die ehemaligen Schulfreundinnen für einen Tag zusammen. Anfang dieses Monats war es wieder soweit: Man feierte in einem Café an der Krummacherstraße das Wiedersehen, elf Frauen, alle Mitte 80, alle bestens gelaunt. „Wie immer war das ein großes Hallo und ein Geschnatter, da muss ich mich mit meiner Begrüßung manchmal regelrecht durchsetzen“, sagt die Organisatorin lachend.

„Es ist schon erstaunlich, wie fit viele noch sind, besonders im Kopf“, freut sich die Vohwinkelerin Erika Osenberg, ebenfalls eine Mitschülerin: „Zu der noch vorhandenen Gesamtzahl sind vier Klassenkameradinnen hinzuzurechnen, die beim diesjährigen Treffen verhindert waren durch Urlaub, Krankenhausaufenthalt oder Immobilität — wie sie mich leider auch abhält.“

Kontakt halten die Frauen auch sonst übers Jahr. Und lange Zeit sah man sich nicht nur zum Klassentreffen, berichtet Osenberg: „Seit 1991 haben jährlich zwischen sechs und acht der Schulkameradinnen mit zwei Autos eine Tour in unser ehemaliges Evakuierungsstädtchen Rudolstadt unternommen.“ Der Ort liegt etwa 80 Kilometer südlich von Weimar „in wunderschöner Umgebung und mit Schloss Heidecksburg“, sagt Erika Osenberg, Sie blieb seinerzeit länger als ihre Klassenkameradinnen in Thüringen, machte dort sogar Abitur, weil es keine Mittelschule gab. „Nach kurzem Aufenthalt in Pflegefamilien waren die anderen Mädchen in das Lager „Weidmannsheil“ im Schwarzatal gekommen“, berichtet Osenberg. „Sie wurden nach und nach von ihren Eltern wieder nach Hause geholt — das war bei mir jedoch nicht möglich, weil mein Vater Soldat war und dann in Gefangenschaft kam, so dass wir in Elberfeld keine Anlaufstelle mehr hatten. Erst 1950 konnte ich wieder nach Wuppertal zurückkehren.“

Unterschiedliche Schicksale, unterschiedliche Lebenswege — doch der Kontakt untereinander hält. Nicht nur Doris Koslowski und ihre Zwillingsschwester Rosemarie Wolzenburg freuen sich schon auf die nächste Zusammenkunft. „Denn natürlich gibt es im kommenden Jahr ein Riesenjubiläum anlässlich des 70. Treffens“, sagt Erika Osenberg und schmunzelt: „Vorausgesetzt natürlich, der liebe Gott sagt dazu ja. Aber so, wie die Damen aussehen, dürfte es klappen.“

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