Wie ein Krefelder auf der Straße ums Überleben kämpft

Seit sieben Jahren ist Manfred Harte obdachlos. Das hat nicht nur psychische Spuren hinterlassen. Ein Einblick.

Wie ein Krefelder auf der Straße ums Überleben kämpft
Foto: Andreas Bischof

Ein Tag ohne Sorgen, einen warmen Ort zum Schlafen, geregelte Mahlzeiten — all das ist für Manfred Harte eine blasse Erinnerung. Der 59-Jährige lebt seit sieben Jahren auf Krefelds Straßen. Der Komfort von einst, die soziale Sicherheit, die er hatte, sind verschwunden. Wie er auf der Straße gelandet ist, will er nicht verraten. Doch seine Falten sprechen Bände.

Im Winter wird sein Alltag von der Suche nach warmen Orten dominiert, von denen er nicht sofort wieder vertrieben wird. „Ich gehe gleich ins Backwerk und hole mir einen Kaffee. Ich muss mich dringend aufwärmen, meine Hände sind schon ganz steif“, sagt er. Die Münzen für ein Heißgetränk hat Harte sorgfältig abgezählt. Mit dem Geld kauft er sich nicht bloß einen Kaffee, sondern vor allem ein Bleiberecht für ein paar Stunden in der Wärme. Seine wenigen Habseligkeiten trägt er in zwei Tüten. Was er an Kleidung besitzt, trägt er am Körper — so viele Schichten wie möglich. Denn die Kälte findet ihren Weg in jede Ritze.

Ein wenig Geld macht er mit dem Sammeln von Pfandflaschen, aber er ist auch aufs Betteln angewiesen. Nach sieben Jahren auf der Straße ist ihm das immer noch unangenehm. „Das erfordert eine sehr große Überwindung. Die ersten zwei Jahre habe ich mich komplett ohne Betteln durchgeschlagen. In den härtesten Phasen habe ich mich dann in die Psychiatrie einweisen lassen, da ist es wenigstens warm und man bekommt Essen. Inzwischen frage ich nach Geld, aber nicht so aufdringlich wie andere“, erzählt er.

Manfred Harte ist abhängig von Opiaten. Mehrfach am Tag raucht er Heroin, von Spritzen lässt er die Finger. „Es mag wie ein Klischee klingen, doch anders ist mein Leben auf der Straße nicht auszuhalten. Es fühlt sich für eine kurze Zeit an wie nach einem schönen Gottesdienst, wenn man mit dem Segen des Priesters die Kirche verlässt.“ Der Konsum habe seine Schattenseiten, koste Geld, und auf Dauer lasse sich die Realität nicht verdrängen. Unzählige Male habe er versucht davon loszukommen. „Kalter Entzug, alleine in einem Zelt.“ Mit vielen Tabletten, um überhaupt Schlaf zu finden. Er legt Wert darauf, nicht mit den Drogenabhängigen am Theaterplatz in einen Topf geworfen zu werden. Auch wenn deren Leben von sozialem Abstieg geprägt sei.

Die meisten hätten aber nicht das Problem, nachts nach einem Schlafplatz suchen zu müssen. „Mit einem Schlafsack im Freien übernachten ist für mich keine Option. Das schaffe ich einfach nicht mehr.“ Mit 59 Jahren sei er nicht mehr der Jüngste, und die langjährige Obdachlosigkeit, Mangelernährung und der Drogenkonsum haben ihre Spuren hinterlassen. Eine Nacht unter freiem Himmel könnte im schlimmsten Fall tödlich enden. „An der Lutherstraße und Feldstraße gibt es Notschlafplätze, manche Kassenräume von Bankfilialen sind nachts geöffnet, und auch Tiefgaragen bieten sich zum Schlafen an“, zählt er die Möglichkeiten auf.

Bei Letzteren bestehe jedoch die Gefahr, nachts vertrieben zu werden. „Sicherheitspersonal oder Nachtwächter behandeln uns Obdachlose wie den letzten Dreck.“ Er fühlt sich von Ärzten und Polizeibeamten selten respektiert. Von der Stadt wünscht er sich, dass warme Orte geschaffen würden. „Ein warmes Zelt in der Stadt reicht schon.“

Das Beratungszentrum für Wohnungslose an der Lutherstraße befindet sich in Trägerschaft der Diakonie. Dort gibt es 40 Notschlafplätze, drei Sozialarbeiter stehen den Klienten beratend zur Seite. Ludger Firneburg, Geschäftsführer der Diakonie Krefeld und Viersen, weiß jedoch: „Die Notschlafstelle ist längst nicht mehr nur im Winter ausgelastet.“ Immer wieder müssten Menschen auch an die städtische Einrichtung an der Feldstraße verwiesen werden. Die Sozialarbeiter seien zudem mit vielfältigen Problemen konfrontiert.

Firneburg spricht von psychischen Erkrankungen, Alkoholproblemen und Traumatisierungen. „Es kommen auch Menschen mit unzureichenden Deutschkenntnissen und zunehmend solche, die aufgrund ihrer prekären Lebensverhältnisse und dem Mangel an Beziehungen kaum eine Chance haben, eine Wohnung zu finden“, so Firneburg. Durchweg seien es arme Menschen, denen in ihrem Leben nicht viel geblieben ist. „Stammgäste gibt es auch ein paar. Wir sind mit der Stadt darüber im Gespräch, dass diejenigen, die über Monate oder sogar Jahre nicht in Einrichtungen, Wohnheime oder eigene Wohnungen vermittelt werden können, anders untergebracht werden als in der Notschlafstelle“, sagt er. Zu einer dieser Gruppen zählt wohl auch Manfred Harte, der weiterhin von einem warmen Ort zum Schlafen und einem Tag ohne Sorgen träumt.

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