Obdachlosigkeit Leben auf der Straße: „Wenn du nass bist, hast du verloren“

In Wuppertal sind etwa 30 Menschen obdachlos und schlafen im Freien. Einer erzählt aus seinem Alltag.

Obdachlosigkeit: Leben auf der Straße: „Wenn du nass bist, hast du verloren“
Foto: dpa

Wuppertal. Marius ist 45 und lebt auf der Straße — eine feste Bleibe hat er nicht. Kein Dach über dem Kopf, keine Familie. Er, der eigentlich anders heißt, lebt seit Jahren auf der Straße. Wie lange? Sagt er nicht genau. Jedenfalls mehr als zehn Jahre. Jedenfalls, seit er aus dem Gefängnis gekommen sei. „Wenn man aus dem Gefängnis kommt, dann hört es auf“, sagt er. Das normale Leben. Die Teilhabe, die Chance, eine Wohnung zu finden. So sieht er es. So hat er es erfahren.

Marius sitzt in der Kantine der Tafel. Allein, etwas abseits von vielen anderen, die an diesem Tag dort etwas zu essen bekommen. Die hätten seine Geschichten eh satt. Er hat Essen vor sich, Suppe mit Brot — und Kuchen. Er isst erst den Kuchen. Macht die beiden Stücke mit der Gabel klein, mundgerechte Quadrate drückt er sich so zurecht, die schnell im Mund verschwinden. Die Jacke, die er nur geöffnet, aber nicht ausgezogen hat, zieht er immer wieder vor dem Körper zusammen. Als würde er die Kälte auch drinnen nicht ganz abschütteln können.

Der Wuppertaler ist Trinker. „Quartalsalkoholiker“, sagt er. Das habe ihm auch schon so manche Probleme bereitet. Konflikte mit der Familie, Konflikte in den öffentlichen Verkehrsmitteln. „Man kann sich nicht immer aus der Affäre ziehen, oder?“, fragt er. Und es klingt wie eine Verteidigung.

Eine Mitarbeiterin der Tafel bestätigt, dass der Mann schwierig sein könne, wenn er getrunken habe. Nüchtern gebe es aber keine Probleme. Wolfgang Nielsen, Leiter der Wuppertaler Tafel, sagt, Trinken sei eben typisch für Obdachlose. „Das ist deren Problem.“ Sie deswegen zu verurteilen, ihnen das Essen verweigern? Komme nicht in Frage. „Wem helfen wir denn?“, fragt er rhetorisch. Regeln gebe es trotzdem, bei der Tafel dürfe man nicht trinken. Und benehmen müsse man sich auch. Aber grundsätzlich sei sonst egal, ob die Menschen betrunken seien.

Marius verbringt seine Tage in den öffentlichen Verkehrsmitteln. „So halte ich mir den Hintern trocken“, sagt er. Wenn man nass werde, dann habe man verloren. Er kauft sich ein Sozialticket von Hartz IV. „Schwarzfahren ist zu Ende“, sagt er. Seit das 60 Euro koste, sei es zu teuer geworden. Das Ticket koste nur 38 Euro.

Er fahre den ganzen Tag hin und her. Drei Mal am Tag komme er zur Tafel. Hier gebe es genug zu essen, um satt zu werden. „Sonst müsste ich klauen.“ Er nutze auch andere Einrichtungen in der Stadt. Bei der Diakonie habe er seine Meldeadresse, dahin bekomme er Post, und da könne er sich und seine Sachen waschen.

Er schläft draußen, zwar in vier Wänden, aber ohne Fenster. Wo, will er nicht sagen „Es gibt nicht viele Plätze“, sagt er. Die Konkurrenz ist groß.

Er ist damit, nach Angaben der Stadt, einer von etwa 30 Menschen, die im Freien schlafen. Die Streetworker der Stadt versuchen, diese Menschen zu erreichen und sie davon zu überzeugen, eine Notschlafstelle aufzusuchen. Das würden aber nicht alle machen. In der Stadt gibt es 18 Plätze für Männer an Friedrich-Ebert-Straße 180, für Frauen 12 Plätze im Hopster-Fiala-Haus (Deweerthstraße 116). Die Anzahl der Übernachtungen steigt an, sagt die Stadt. Während im Jahr 2016 7341 Übernachtungen zu verzeichnen waren, sind es in diesem Jahr bis November bereits 8895 gewesen, meldet die Stadt. Nach Angaben der Stadt duldet die Bahn, wie jedes Jahr, in den Wintermonaten, wenn in den Bahnhöfen Menschen übernachten.

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