„Der Putschversuch hat Angst hinterlassen“

Halide Özkurt glaubt an eine friedliche Demo in Köln. Kritik an der Freitagspredigt lässt sie bedingt zu.

„Der Putschversuch hat Angst hinterlassen“
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Am Wochenende wollen in Köln Tausende Deutschtürken für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die Straße gehen. Halide Özkurt, SPD-Ratsfrau und Mitarbeiterin der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in NRW, hofft auf einen friedlichen Demonstrationsmarsch. Gesprächsbedarf gebe es in der Fatih Moschee in Krefeld seit dem Putschversuch in der Türkei zu genüge, sagt sie. Ihre Aufgabe sei es jetzt unter anderem, Eskalationen zu verhindern.

Frau Özkurt, was erwarten Sie von der Demonstration der Erdogan-Anhänger am Sonntag in Köln?

Halide Özkurt: Soweit ich informiert bin, soll das keine Demonstration, sondern ein „Demokratiemarsch“sein, zu der jeder eingeladen worden ist. Dort soll ein Zeichen gegen den Putschversuch in der Türkei gesetzt werden. Ich erwarte, dass dort für mehr Vernunft, Frieden und Demokratie auf der ganzen Welt und im besonderen in der Türkei gefordert wird.

Mit wie viel Sorge sehen Sie dieser Demonstration entgegen?

Özkurt: Ich bin optimistisch und gehe davon aus, dass es friedlich abläuft.

Werden Sie selbst vor Ort sein?

Ötkurt: Nein.

Was denken Sie über die Schließung von Zeitungen und Radiosendern in der Türkei?

Özkurt: All das betrifft die türkische Innenpolitik. Mein Appell ist aber trotzdem, dass alles, was dort passiert, im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit ablaufen soll. Der Verfassungsschutz in Deutschland verbietet beispielsweise auch Zeitschriften, die Hetze betreiben und das gesellschaftliche Zusammenleben gefährden. Auch in der Türkei gibt es ähnliche Situationen.

Vor rund einer Woche hagelte es von mehreren Seiten Kritik an der Freitagspredigt der DITIB (Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion). Sie sind Mitarbeiteirn der DITIP in NRW - wie regieren Sie darauf?

Özkurt: Freitagspredigten haben meist das Ziel, aktuelle Ereignisse in der Gesellschaft an die Gläubigen heranzutragen und mit religiösen Grundwerten zu verknüpfen. Die Themen können dabei sehr vielfältig sein. Von Themen wie Armensteuer bis hin zu Zivilcourage werden unterschiedliche Themen jeden Freitag in allen DITIB-Moscheegemeinden zehn bis 15 Minuten vorgetragen. Dabei können auch brandaktuelle Themen anfallen, die die Menschen emotional bewegen. In solchen Zeiten ruft man in einer Freitagspredigt zur Besonnenheit und Geduld auf.

Volker Beck bezeichnete die Freitagspredigt als „politisches Machtwerk“ . . .

Özkurt: Diejenigen, die DITIB ein „politisches Machtwerk“ unterstellen, sehen nur die eine Seite derselben Medaille. Ihnen fehlt daher jegliches Gefühl dafür, was die Menschen in der Türkei und hier in Deutschland mit einem Militärputsch verbinden, welche Ängste und Sorgen damit verbunden sind. Und auch welche Gefahren die Familienangehörigen unserer Gemeindebesucher durchlitten haben. Unsere Aufgabe ist es, insbesondere in solchen Momenten in der Freitagspredigt diese Ereignisse anzusprechen und die damit verbundenen Emotionen sinnvoll aufzunehmen und in vernünftige Bahnen zu leiten, damit sich die Situation entspannt und es gerade nicht zu Eskalationen kommt. Es ist daher bedauerlich, dass manche, statt sich um Sicherheit und Beruhigung der Lage zu bemühen, mehr zur Verunsicherung der Gesellschaft beitragen. Statt konstruktiver Kritik politisch Stimmung gegen DITIB zu machen, ist meiner Meinung nach fehl am Platz.

Ist die Predigt am Freitag in allen DITIB-Moscheen so vorgetragen worden?

Özkurt: Die von dem DITIB-Bundesverband veröffentlichten Freitagspredigten sind nur eine Empfehlung und Hilfestellung für die Religionsbeauftragten. Sie müssen nicht eins zu eins übernommen werden.

Was halten Sie von den Inhalten der Predigt?

Özkurt: Es ist nicht die Aufgabe und auch nicht die Absicht von DITIB, Politik zu betreiben. Der Vorwurf, Inhalte der Predigt seien „nationalistisch“ ist daher nicht richtig, zumal DITIB-Moscheen auch von nicht-türkischen Gemeinde-Mitgliedern besucht werden. Auch im Zuge der Flüchtlingskrise geht es nicht um Nationalismen, sondern um Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Trotzdem zeigen die Rückmeldungen, dass es in der Zukunft die empfohlenen Predigten mit noch mehr Empathie und Feingefühl verfassen muss, um Missverständnisse zu vermeiden.

Warum kommt die DITIB nicht von den Vorwürfen los, nicht unpolitisch zu sein?

Özkurt: DITIB tut alles dafür, damit die Gläubigen ihren religiösen Pflichten nachkommen können. Es ist üblich, bei Religionsgemeinschaften,gesellschaftspolitische Akzente zu setzen und Ideen für die Gestaltung des Gemeinwesens einzubringen. Das passiert auch bei den Kirchen. Sie äußern sich auch zu politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen und geben Impulse für ein friedliches Miteinander. Das ist bei DITIB nicht anders.

Welche Rolle spielen die Vorkommnisse in der Türkei in der Krefelder Fatih Moschee?

Özkurt: Das Thema beschäftigt natürlich jedes Mitglied in unserer Stadt und auch in unserer Gemeinde. Wir versuchen, dass es nicht zur Eskalation kommt, wenn jemand darüber sprechen möchte. Als Gemeindevertreter kommen wir unserer Verantwortung nach und bitten die Mitglieder, sachlich darüber zu reden, wenn sie denn das Bedürfnis haben. Ich stehe als Sozialpädagogin jeden Freitag in der Gemeinde von 9 bis 18 Uhr in der Fatih Moschee für Gespräche zur Verfügung. Wer von unseren Mitgliedern Redebedarf hat, darf das in Anspruch nehmen. Wir plädieren innerhalb der Gemeinde für ein friedliches Zusammenleben.

Wie stehen Sie zu den zahlreichen Verhaftungen und Entlassungen in der Türkei?

Özkurt: Der Putschversuch hat gravierende Ängste hinterlassen. Er ist auf gar keinen Fall zu dulden. Daher sollten die Verantwortlichen dafür innerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens für die Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Wer in Deutschland die Sicherheit gefährdet, muss auch mit Freiheitsstrafe rechnen.

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