Muff Potter: Das Warten auf den richtigen Bus

Muff Potter ist die vielleicht am meisten unterschätzte Rockband Deutschlands. Ihr neues Album „Gute Aussicht“ belegt das auf eindrucksvolle Weise. Fehlt nur der Erfolg.

Düsseldorf. Keiner weiß warum, aber Muff Potter sind die Band, die den Bus verpasst hat. Sie wurden einfach nicht mitgenommen. Dabei sitzen alle anderen drin. Vorne die kürzlich Eingestiegenen: Silbermond, Madsen, Juli. Hinten die Platzhirsche, die schon immer dabei waren: der Berliner Ärzte-Adel, die Punkrock-Veteranen der Toten Hosen, die Hamburger Schüler Tocotronic. Sie fahren mit, was bedeutet: Sie genießen weitläufige Beachtung in den Medien und unter Musikhörern.

Muff Potter dagegen müssen warten. Wieder einmal. Immerhin genießen sie dabei eine "Gute Aussicht" - das besagt zumindest der Titel ihres am Freitag veröffentlichten, neuen Albums. Es ist das siebte Studioalbum der vielleicht am meisten unterschätzten Rockband Deutschlands. Und wie seine Vorgänger wird auch "Gute Aussicht" mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit kämpfen. Verdient hätte die aus Münster stammende und nach einer Figur aus Mark Twains "Tom Sawyer" benannte Band sie allemal.

Zum Beispiel wegen der Texte von Sänger Thorsten "Nagel" Nagelschmidt. Sie gehören zum Besten, was die deutschsprachige Musik derzeit zu bieten hat. Wo eine Band wie Kettcar gerne allzu kryptisch wird, bleiben Muff Potter verständlich und nachvollziehbar. Wo sich Gruppen wie Silbermond im Neo-Schlager verlieren ("Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint"), reißen Muff Potter den Mund auf und beziehen Stellung: "Standing Ovations auf allen vieren. Dieses Glas hier ist halb voll."

Nicht zu vergessen ihre Liedzeilen, die wie Slogans des Lebens anmuten und danach schreien, auf Wände gesprüht zu werden: "Alles, was ich nicht gesagt hab’, hab’ ich auch so gemeint", heißt es auf "Bordsteinkantengeschichten" (2000). "Lachen kann so leicht sein, wenn man genügend oder gar keine Gründe hat", stellten Muff Potter 2003 auf "Heute wird gewonnen, bitte" fest. "Was früher alles war, ist heute nur noch Blablabla", schrie Nagel auf "Von Wegen" (2005). "Es gibt kein gutes Leben ohne Blasphemie", sang er 2007 ("Steady Fremdkörper").

Und dann ist da natürlich die Musik, die Nagel, Dennis Scheider (Gitarre), Dominic "Shredder" Laurenz (Bass) und Thorsten "Brami" Brameier (Schlagzeug) selbst als "Angry Pop Music" bezeichnen. Wer sich durch das Œuvre des Quartetts hört, der hört einer Band beim Wachsen zu: Die ersten beiden Alben "Muff Potter" (1996) und "Schrei, wenn Du brennst" (1997) klangen noch unreif und zu sehr nach rotzigem Deutschpunk, wie er in verdreckten Jugendclubs Woche für Woche gespielt wird. Allmählich jedoch "erspielte" sich die unablässig durch die Lande tourende Combo ihre Mischung aus melodiösem Punk und Alternative-Rock, die sie heute auszeichnet.

Bei Muff Potter hört man ehemalige, relevante Szenebands wie die Boxhamsters, Slime und But Alive ebenso heraus wie die angesprochenen massenkompatiblen und doch fernab allen Mainstreams agierenden Madsen, Kettcar oder Tocotronic. All das führte auch schon dazu, dass Muff Potter mit den Ärzten auf Tour waren. Dass sie zu Lieblingskindern des Alternativ-Musikmagazins "Visions" wurden. Dass Bukowski-Fan Nagelschmidt mit Erfolg seinen Tour-Roman "Wo die wilden Maden graben" veröffentlichte. Dass die Band, trotz eines zwischenzeitlichen Ausfluges zum Riesen "Universal", seit nunmehr 15 Jahren ihr eigenes Label "Huck’s Plattenkiste" unterhält.

Und doch müssen Muff Potter wohl weiter darauf warten, auf den Erfolgsbus aufzuspringen. Vielleicht gerade weil sie ihren eigenen Kopf haben. Und sicherlich auch, weil sie sich nicht verbiegen lassen wollen. Auf "Gute Aussicht" heißt es jedenfalls vielsagend: "Ich weiß, ich sollte die Welt regieren. Aber ich bin einfach viel zu faul." Der nächste Bus kommt bestimmt.

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