Die Meister des glasklaren Pop

„Yes“, das zehnte Album der Pet Shop Boys, ist eine Rückbesinnung auf alte Stärken – und eine Auseinandersetzung mit den eigenen Unsicherheiten.

Düsseldorf. Der größte Fehler, den man bei den Pet Shop Boys machen kann, ist, ihnen Glauben zu schenken. Vielleicht selbst dann, wenn Neil Tennant, das sanft lächelnde Aushängeschild des Duos, jetzt von sich in einem Interview behauptet, er sei schon immer ein Heuchler gewesen. Privatleben, musikalische Vorbilder, die politische Einstellung - alles bleibt im Vagen. Seit 25 Jahren stilisieren sich Tennant und sein Sidekick Chris Lowe, der bei öffentlichen Auftritten stets wie ein von seinen Eltern in der Fußgängerzone vergessener Pantomime wirkt, zu einem nebulösen Gesamtkunstwerk. Sich auf etwas festlegen zu lassen, würde sie, so scheint es, ungeheuer langweilen.

Das einzige, was Bestand haben soll, ist ihre Musik. Deren seltsam gewinnende Sterilität hat irgendwann vor 15 Jahren den Sprung heraus aus dem hedonistischen 1980er-Jahre-Kontext hinein in eine stilbildende Zeitlosigkeit geschafft. Pet-Shop-Boys-Songs erkennt man nach drei Tönen, und nicht nur deswegen, weil Tennants Stimme so prägnant ist. Ihre Fähigkeit, scheinbar schon da gewesene Melodiemuster zu immer neuen Ohrwürmern zu verdichten, ist einzigartig. Lowes überbordende Synthesizer-Arrangements, manchmal gepaart mit orchestralem Größenwahn, schaffen den typischen Sound, hin und her geworfen zwischen industrieller Massenfertigung und bewegender Insichgekehrtheit.

Auf "Yes", ihrem zehnten regulären Studioalbum, das am Freitag erscheint, ist dieses Spannungsverhältnis das beherrschende Thema, nicht nur musikalisch, auch textlich. Ganz so, als wollten Tennant und Lowe eine vorläufige Bilanz ihres Schaffens ziehen. Das Ergebnis ist keine vergangenheitsselige Retrospektive, sondern eine Rückbesinnung auf die Stärken, eine Auseinandersetzung mit den eigenen Unsicherheiten, fast schon eine Abrechnung mit der ironischen Distanz, die sie stets zu sich und ihrem Status als Superstars suchten.

"Ich baue mir eine Mauer", singt Tennant auf "Building A Wall", "nicht, um Dich abzuschotten, sondern um meine eigenen Grenzen abzustecken." Die augenzwinkernde Entschuldigung eines Unverstandenen, ganz ohne peinlichen Kotau, aber mit dem Wissen, selbst zum Missverständnis beigetragen zu haben.

Abgemischt wurden die elf Songs von Brian Higgins, dem Kopf des britischen Produktionskombinats Xenomania. Auch das ist ein Beleg für den launischen Widerspruchssinn der Pet Shop Boys, alles, was sie in Interviews als Maxime ausgegeben haben, spätestens beim nächsten Album als Branchengeblubber zu demaskieren. Der Pop sei leblos geworden, beschwerten sie sich 2006, als sie "Fundamental" veröffentlichten. Damals beherrschten Girls Aloud, die Sugababes und Kylie Minogue die Charts. Allesamt produziert von Xenomania, die der festen Überzeugung sind, dass man Hits erzwingen kann.

Mit den Pet Shop Boys haben sich ihnen nun zwei Veteranen anvertraut, die ebenfalls der Bastler- und Tüftler-Fraktion angehören, ohne dabei aber jemals so geklungen zu haben, als seien ihre Songs übers Knie gebrochen. Dementsprechend lassen sie sich auch nicht von ihren neuen Produzenten vereinnahmen, sondern scheuchen sie vor sich her, indem sie ihnen ihren grazilen Kunstpop aufzwingen.

Reiner und klarer waren Tennant/Lowe-Kompositionen nicht mehr seit dem beispiellos homogenen "Behaviour" (1990). Angefangen mit dem optimistischen "More Than A Dream", auf dem die Pet Shop Boys ungewohnte Aufbruchstimmung verströmen, bis zum Paukenschlag-durchsetzten Selbstzweifler "Beautiful People", auf dem sie wieder hemmungslos mit der eigenen Unzulänglichkeit kokettieren, die versponnenen Hobbits der britischen Promi-Szene zu sein. Perfekten Pop macht nur, wer die nötige Distanz zu sich besitzt. Auch bei Xenomania weiß man das jetzt. Die Pet Shop Boys haben ganze Arbeit geleistet.

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