Anna Netrebkos Verdi-Album über Heldinnen und Heilige

Berlin (dpa) - Die Werbemaschine läuft auf Hochtouren, obwohl von der CD bisher nur wenig zu hören war: Über die neue Platte von Anna Netrebko wird getratscht, Klassik-Freaks lästern und spekulieren im Internet darüber seit Wochen.

Netrebko-Fans können sich freuen: Nach fünf Jahren legt die Russin erstmals wieder eine Solo-Platte vor - Arien aus Opern von Giuseppe Verdi zum 200. Geburtstag des Komponisten (1813-1901).

Netrebko und Verdi - früher oder später wäre die Sopranistin auf den Italiener getroffen. Ihre Stimme sei dunkler, tiefer geworden - ideal für die dramatischen Partien von Lady Macbeth bis Jeanne d'Arc, sagte Netrebko der Deutschen Presse-Agentur.

Schon im Juni trat sie auf dem Roten Platz in Moskau mit einer Kostprobe auf, das Konzert wurde weltweit ausgestrahlt. Bis zuletzt hat die Deutsche Grammophon (DG) die Produktion unter Verschluss gehalten. Nach einer feierlichen Präsentation in Salzburg kommt die CD an diesem Freitag (9. August) weltweit auf den Markt.

„Das war eine völlig spontane Entscheidung“, sagt Netrebko zur CD, die sie unter Studiobedingungen im Teatro Regio in Turin unter Leitung des Dirigenten Gianandrea Noseda aufnahm. Es sei Zeit gewesen, der Karriere eine neue Wende zu geben. Sie habe diese Opern nie auf der Bühne gesungen. „Und natürlich wollten wir Verdis Geburtstag feiern.“

Hinter Netrebkos Verdi-Debüt steht eine ausgeklügelte Kampagne. In den kommenden Monaten ist die Diva auf Italiens Nationalhelden eingeschworen. Sie singt „Giovanna D' Arco“ mit Plácido Domingo konzertant in Salzburg, „Il Trovatore“ wieder mit Domingo und Daniel Barenboim am Pult an der Staatsoper in Berlin und „Macbeth“ als Rolledebüt an der Bayerischen Staatsoper in München. Dazu kommen Solo-Abende in Luzern und Paris.

Seit ihrem triumphalen Durchbruch bei den Salzburger Festspielen 2002 als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ hat sich Netrebko vom Image der Unschuld vom Lande befreit und zeigt sich heute als zeitgemäß-moderne Diva. Durch ihrer Liaison mit dem Tenor Erwin Schrott und der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Tiago schaffte sie es auch in die Klatschblätter. Doch auch Kritik an Netrebkos öffentlicher Rolle wird immer wieder laut, vor allem wegen ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Putin.

„Primadonna assoluta“ - der Titel, der bisher Stimmgrößen wie Maria Callas, Joan Sutherland oder Renata Tebaldi vorbehalten war, ließe sich heute auf „la Netrebko“ münzen. Zwar gehören Cecilia Bártoli mit ihrer unbändigen Experimentierlust und Neugierde, die Lettin Elina Garanca, stimmlich auf Netrebko-Niveau, oder die US-Amerikanerinnen René Fleming und Joyce DiDonato mit ihren Goldkehlen zu den ganz Großen im Operngeschäft. Doch die Russin erreicht ein Publikum jenseits der Theater und füllt mühelos den Roten Platz und die Berliner Waldbühne.

Dabei zog Netrebko zunächst mit dem Mexikaner Rolando Villazón als „Traumpaar der Oper“ durch die Welt und eroberte die Charts. Während sich der wuselige Tenor dann aber mit einer Stimm- und Sinnkrise einige Zeit von der Bühne fernhalten musste, schritt Netrebko unbeirrt weiter.

Ob mit Donizettis „Liebestrank“, mit dem sie 2011 die Saison an der New Yorker „Met“ eröffnete, ihre „Traviata“ in Salzburg oder ihre Belcanto-Partien von Bellini bis Donizetti - die 42-Jährige hat fast vier Millionen CDs im vergangenen Jahrzehnt für die DG verkauft.

Über zweieinhalb Oktaven reicht heute Netrebkos Stimme. Sie hat dabei etwas von ihrer federnden Leichtigkeit eingebüßt, mit der sie etwa die „Traviata“ schmetterte, dafür aber an dramatischer Tiefe gewonnen.

Gleich zu Beginn der Verdi-CD haucht sie mit rollendem R den Macbeth-Monolog. Sie verkörpert Frauen am Rande des Wahnsinns, Heldinnen oder wie die Elisabetta aus „Don Carlo“ gebrochene Wesen. „Diese Figuren passen zu mir“, sagt sie. „Ich fühle mich wohl und kann die Koloraturen voll aussingen.“

Für Netrebko-Nostalgiker bietet die Platte auch eine Überraschung. Noch einmal singt sie mit Rolando Villazón aus dem „Troubador“. Sie sei Rolando sehr dankbar, dass er bei der Aufnahme dabei gewesen sei. „Ob wir das in Zukunft wieder öfters tun werden, weiß ich noch nicht.“

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