Euro 2016 Hu! Und was sonst noch von der EM in Frankreich bleibt

Von überraschenden Isländern, erwarteten Traumata und überzeugenden Niederländern. Ein A bis Z zum Abschluss der Fußball-EM.

Die isländische Mannschaft (und ihre Fans) brachte erstaunlich guten Fußball und einen sympathischen Schlachtruf ins Fußball-Europa: "Hu!".

Die isländische Mannschaft (und ihre Fans) brachte erstaunlich guten Fußball und einen sympathischen Schlachtruf ins Fußball-Europa: "Hu!".

Foto: Sebastien Nogier

Düsseldorf. Mehr als vier Wochen Europameisterschaft sind vorbei, vier Wochen voller Überraschungen, Enttäuschungen — und ein paar Dingen, die man erwarten durfte. Das etwas andere A bis Z.

A wie Abpfiff. Schluss, aus, vorbei. Es hat ja diesmal ein bisschen länger gedauert als in den vergangenen Jahren; aber jetzt ist auch diese aufgeblähte Europameisterschaft in Frankreich zu Ende gegangen. Endlich, sagen die einen; schade, die anderen. In 703 Tagen geht es wieder los; dann startet die WM in Russland. Anpfiff. So ist es geplant.

B wie Brexit. Anders als so mancher Politiker auf der manchmal doch recht eigentümlichen Insel haben die englischen Profis das Votum ihrer Landsleute (im Gegensatz zu den Walisern!) ernst genommen — und prompt umgesetzt. Die Leistung beim Brexit gegen auch in anderen Belangen vollkommen überraschende Isländer war genauso wie derzeit die der englischen Politiker: blamabel. Den Three Lions wurden wieder einmal früh die Zähne gezogen. Siehe E, M und N

C wie Chapeau.
Wir brauchen nicht viele Worte. Aber viele Hüte zur Ehrerbietung. Für Mannschaften wie Wales und wie das auch in anderen Belangen vollkommen überraschende Island, für Fans wie die irischen und nordirischen, die walisischen und natürlich die isländischen. Danke für euer Auftreten. Siehe H

D wie Daten. Alles wird erfasst! Jeder steht mal ganz oben in einer Statistik: Kroos spielte die meisten Pässe im Turnier, deutlich vor Boateng und Özil; Keeper Halldorsson aus dem auch in anderen Belangen vollkommen überraschenden Island zeigte die meisten Paraden (27), Wales- Star Gareth Bale schoss bis zum Finale am häufigsten aufs Tor (16). Doch was bringt es, wenn der Fußballgott in den entscheidenden Spielen seine Hände nicht im Spiel hat (Island und Wales) oder die Rolle Bastian Schweinsteiger überlässt? Siehe I und P

E wie Einwurf. Standards sind in Joachim Löws Trainerstab ja nicht mehr so verpönt wie einst. Doch im Schatten der Großkategorien „Kurze Ecke“, „Luschige Ecke“ und „Handelfmeter für den Gegner rausholen“ wird der Einwurf noch immer komplett ignoriert. Und das vollkommen zu Unrecht wie die auch in anderen Belangen vollkommen überraschenden Isländer gezeigt haben. Mit „Wucht- Klatsch-Bumms“ hat die rustikale Variante der Drei-Kontakt- Großchancenerarbeitung selbst noch im Viertelfinale funktioniert. Kapitän Aron Gunnarsson (27, Foto: dpa) gilt als Trendsetter. Kein Wunder, ist sein wurfgewaltiger Bruder doch Handball-Nationalspieler. Siehe B, M und N

F wie Fairness.
Das ist schön. Keine Bilder wie bei der WM vor zwei Jahren, als Neymar mit Wirbelbruch auf der Bahre den Platz verließ. Kein Brutalo-Foul heuer, kaum ein Platzverweis. Fußball kann so fair sein.

G wie Götze, Mario.
Hatte zu Beginn des Turniers einen großen Fan und musste deshalb in allen drei Gruppenspielen in der Startelf stehen. Überzeugte dabei aber auch Bundestrainer Joachim Löw, dass er auf der Bank am wertvollsten ist. Prompt überzeugte die deutsche Mannschaft auf dem Platz; Götze daneben, sieht ja zumindest immer gut aus. Wurde im Halbfinale noch mal ins Spiel gebracht, nachdem ihm Löw wie vor seiner Einwechslung im WM-Finale 2014 Anweisungen ins Ohr geflüstert hatte. Unklar ist, ob er etwas davon mitbekommen hat — von der Flüsterei, von der Einwechslung überhaupt. Ist nicht besser als Messi. Weiß spästestens jetzt jeder. Auch Löw. Hoffentlich. Siehe O

H wie Hohlköpfe. Oder Hooligans. Oder hirnlose, hohlköpfige Hooligans. Vorwiegend russische und englische H’s waren unterwegs, spielten aber wie die Mannschaften beider Länder nur gelegentlich eine Rolle bei dieser EM. Beides kann man gut finden, dass mit den Hohlköpfen auf jeden Fall. Siehe C

I wie idiotisch.
Alles wird erfasst; jeder kann Rekordhalter sein. Belgiens Radja Nainggolan ist doch wahrhaftig der erste Spieler, der bei einer EM in einer 13. Minute (1:0 gegen Wales im Viertelfinale, Endstand 1:3) ein Tor geschossen hat. Wenigstens etwas, das ihn über das unerwartete Aus hinweggetröstet hat. Gefeiert hat der Raucher das sicherlich mit einer Kippe im Teamhotel, er war — sagen Kommentatoren — der Einzige mit Balkon. Rekordverdächtig. Siehe D und L

J wie Jentzsch, Simon. Torhüter, 1,96 Meter groß und gerade einmal 40 Jahre alt. Was für einen Torhüter kein Alter ist. Und dass er vor drei Jahren seine Karriere beendet hat — egal. Simon Jentzsch (Foto: dpa) hat einen unschätzbaren Vorteil. Er besitzt neben der deutschen auch die Staatsbürgerschaft Großbritanniens, der Mama sei Dank. Das dürfte reichen, um bald als Nachfolger von Joe Hart das Tor der Engländer zu hüten.

K wie Kinder. Ohhh, süß, Kinder auf dem Rasen! Ohhh, auch der Portugiese Pepe kann lieb und einfühlsam sein. Oh, Kinderverbot? Gut, dass es noch das Restaurant mit der Goldenen Möwe gibt, das mit dem „Players Escort“ wirbt — klingt nur nicht ganz kindertauglich.

L wie Labern. Wie die auch in anderen Belangen vollkommen überraschenden Isländer manchmal einem blutleeren Spiel gutgetan hätten, hätten die Kommentator- Veteranen Werner Schneider (ZDF) und Ernst Huberty (ARD) den Puls der TVZuschauer auf Normalschlagzahl gehalten. Dennoch hatten Béla Réthy (59/ZDF, Foto: dpa) und Tom Bartels (ARD) einen Vorteil: Beim Phrasen-Bingo konnte man die todsicheren Punkte einsacken — anders als beim Tippspiel. Siehe S und W

M wie Mannschaft, La. Zwar haben auch intensivste Wikipedia-Recherchen dieser Redaktion nicht ergeben, seit wann Bezeichnungen wie Squadra Azzurra, Équipe Tricolore oder Three Lions geläufig sind. Doch in einem ist sich diese Redaktion einig: In diese Reihe werden es zwei Wortschöpfungen neueren Datums nie schaffen — „Die Mannschaft“; und erst recht nicht „La Mannschaft“. „Au revoir, La Mannschaft!“ untertitelte jener Sport-Bezahlsender, der bei der EM immer nur dabei, aber nie mittendrin war, die Berichterstattung von der Abreise der DFB-Kicker. Hoffentlich war damit mehr gemeint.

N wie Niederlande. Häme? Spott? Von wegen! Die Niederländer sind richtige Cleverle und können getrost als Euro-Schwaben bezeichnet werden. Lieber in der Quali doof unter anderem gegen auch in anderen Belangen vollkommen überraschende Isländer zu scheitern, als auf großer Bühne so peinlich zu versagen wie die Spanier, Engländer oder Belgier. Aber ein lustiges „Ohne Holland fahr‘n wir zur EM“ auf den Lippen ist am Strand von Domburg dennoch erlaubt, oder? Siehe B, E, und M

O wie Oweia.
Wie Oh Gott. Wie Oweh. Wie Oh Mann. Oder wie Siehe G

P wie Passmaschine. Seit der Brexit-Entscheidung ist der deutsche Pass bei Briten so gefragt wie nie. Was Toni Kroos (26, Foto: dpa) als Passmaschine ein zweites Standbein einbringen könnte. Von 4022 gespielten deutschen Pässen bei der EM (Bestwert!) spielte er 653 (Bestwert!); einige davon könnte er vielleicht auf die Insel verkaufen. Siehe B

Q wie Querulant. Ältere Semester werden sich noch an Uli Stein („Suppenkasper“, WM 1986) oder Stefan Effenberg („Stinkefinger“, WM 1994) erinnern, die Turnieren als teaminterne Querulanten Würze gaben. Und anno 2016? Im inzwischen steril gehaltenen DFB-Umfeld sind Querulanten Fehlanzeige. Da muss man sich schon an kläffenden Ex-Leitwölfchen wie Michael Ballack („Kein Charakter“) oder semi-frechen Experten wie Mehmet Scholl („Siegenthaler“) abarbeiten. Oder sollte das Q besser für Quasselbude stehen? Doch so viel Platz ist Reinhold Beckmanns Quatsch aus Malente nicht wert. Siehe L

R wie Resultat.
Ohne nachzudenken: Nennen Sie die Ergebnisse der folgenden Gruppenspiele: Russland — Slowakei, Albanien — Wales und Tschechien — Kroatien. Drei richtige Antworten: Sie fanden den Modus und die auf 24 Mannschaften aufgeblähte EM ja mal so richtig gut. Zwei richtige Antworten: Fußball-Fachmann mit gewissen Sympathien für den Modus. Eine richtige Antwort: Immerhin. Keine: Macht nix. Siehe Y

S wie Steinschweiger. Anagramm für einen deutschen Nationalmannschaftskapitän, erfunden von ZDFKommentator Béla Réthy. Anagramm für Béla Réthy: Labért, héy! Siehe L

T wie Trauma. Das nicht vorhandene italienische wurde dennoch besiegt, dafür wird für die EM 2020 ein neues aufgebaut, nachdem die DFB-Auswahl erstmals bei einem Turnier gegen den Gastgeber verloren hat. Vorsicht also, denn immer wenn ein gewisser ZDF-Reporter an einem 8. Juli schwadroniert, pardon: kommentiert, die Temperatur über 25,75 Grad Celsius liegt und 645 372 Grashalme zwei Millimeter zu lang sind, sind die Aussichten für das deutsche Team schlecht. Siehe L und S

U wie Urschrei.
Oder Hu. Das auch in anderen Belangen vollkommen überraschende Island blieb bis zum Finale. Zumindest auf den Rängen. Die Franzosen haben den Schlachtruf der auch in anderen Belangen vollkommen überraschenden Isländern kopiert, den Besonderheiten der französischen Sprache zum Trotz. Hu bleibt Hu — vor einem „Üh“ hätte auch wirklich niemand Respekt.

V wie Videobeweis. Ist nötig auf — und nicht neben dem Platz. Siehe Bundestrainer Joachim Löw.

W wie Weisheit. Beim nächsten Turnier auf Tippspiele verzichten und auf Phrasen-Bingo umsteigen. Siehe L

X wie X-Platzhalter. Seit Xavis Rücktritt gibt es in EMABCs eine Lücke wie bei laufenden EM-Spielen in der Ergebniszeile. Beides wird gefüllt mit dem x-Platzhalter, der im Gegensatz zu diesem Text bei den Ergebnissen nicht stehen bleiben sollte — und, puuhh, bei dieser EM nicht stehen geblieben ist.

Y wie Yeah. Englisch ist auch in Frankreich die offizielle Uefa-Sprache, und deshalb freuen wir uns auf Englisch (Yeah!), dass wir Sie reingelegt haben (Siehe R). Russland — Slowakei endete 1:2, Tschechien und Kroatien spielten 2:2 — und Albanien und Wales waren in unterschiedlichen Gruppen. Haben Sie also drei richtige Antworten gegeben, sind sie a) ein Aufschneider und b) ein Opfer des Modus.

Z wie Zaubertor. Viele Tore sind bei dieser EM nicht gefallen, aber betörend schöne. Shaqiris Seitfallzieher (24, Foto: dpa), Ronaldos und Kalinics Hackentricks, Payets Strichschuss, Draxlers Akrobatikeinlage. Fußball kann so schön sein.

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