Historie I: Borussias Traum von Europa

Zwischen 1960 und 1996 gab es für die Gladbacher mehr als 120 Spiele auf internationalem Parkett. Ein Rückblick.

Mönchengladbach. Wenn sich Günter Netzer zur Lage der Fußball-Bundesliga äußert, hat das gewöhnlich Hand und Fuß, und wenn der ehemalige Gladbacher Star seinem Heimatverein Borussia Mönchengladbach einen Platz auf der „europäischen Bühne“ zutraut, also mindestens Rang sechs, dann duldet diese Einschätzung kaum Widerspruch.

Doch dass die Verantwortlichen vom Borussia-Park demgegenüber eher zurückhaltend agieren, ist auch verständlich. Solche hohen Erwartungen, Träumereien und Rechenspiele überlassen sie lieber den Medienvertretern und den Anhängern des Traditionsklubs.

Sportdirektor Max Eberl schiebt solche Prognosen weit von sich, und auch Cheftrainer Lucien Favre erinnert immer wieder stereotyp daran, „wo wir herkommen“. Angeblich denken auch die meisten Spieler des VfL trotz einer hervorragenden Ausgangsposition immer nur von Spiel zu Spiel. Allerdings mehren sich unter den Profis diejenigen, die an ein Happy end glauben. Wie Thorben Marx zum Beispiel: „Warum nicht Europa, wir spielen doch guten Fußball.“ Und Igor de Camargo sagt im Brustton der Überzeugung: „Wir wollen Bayern schlagen und eine neue Serie starten.“

Bei zehn Punkten Vorsprung auf Rang sieben plus eines deutlich besseren Torverhältnisses gegenüber Hannover 96 und dem VfB Stuttgart ist die Gladbacher Borussia in ihrer 44. Bundesligasaison zwangsläufig ein Anwärter für „Spiele im Europapokal“.

Ein Blick zurück: Erster internationaler Gegner für Borussia Mönchengladbach war 1960 nach dem DFB-Pokalsieg das Team von Glasgow Rangers. Die Freude währte aber nicht lange, schon das Heimspiel endete mit einem 0:3 sang- und klanglos. Und beim Rückspiel in Schottland gab es gar eine 0:8-Abfuhr.

Nach dem „ersten Mal“ war der VfL zehn Jahre von der Bildfläche verschwunden, ehe ab 1970 — auch auf den europäischen Fußballfeldern — die große Gladbacher Zeit anbrach. Borussia bewegte die Nation, holte fünf Deutsche Meisterschaften und war in dieser Phase zweimal Uefa-Cup-Sieger.

Auch in der Achtziger Jahren setzte die Elf vom Niederrhein noch sechsmal international Akzente, ohne jedoch an ihre glanzvollste Epoche anknüpfen zu können. Der Pokaltriumph 1995 brachte den VfL bis dato ein letztes Mal „nach Europa“. In 36 Jahren (1960 bis 1996) gab es mehr als 120 internationale Spiele.

Ob Mailand, Manchester oder Madrid, Liverpool, Lissabon und Lyon, Belgrad, Brügge oder Barcelona — Borussia gehörte zur Creme de la Creme auf dem europäischen Fußball-Kontinent. 1977 stand Gladbach in Rom sogar im Finale der heutigen Champions-League (1:3 gegen Liverpool), es gab zweistellige Ergebnisse wie das 10:0 gegen Larnax/Zypern, und wenn die Niederrhein-Elf auf eine Mannschaft mit klangvollem Namen traf, wich sie auch schon mal ins größere Düsseldorfer Rheinstadion aus.

Unvergessen sind der spektakuläre Büchsenwurf 1971 am Bökelberg gegen Inter Mailand und das Skandalspiel im Bernabeu-Stadion 1976, als dem VfL bei Real Madrid von einem niederländischen Referee zwei lupenreine Tore verweigert wurden. Die Königlichen kamen weiter, Borussia haderte und trauerte.

Das vorläufig letzte Pokalspiel auf internationaler Ebene gab es vor mehr als 15 Jahren, am 29. Oktober 1996, als sich die Elf vom Niederrhein unter der Regie von Trainer Bernd Krauss nach einer 2:4-Niederlage vor heimischem Publikum gegen AS Monaco beim Retourspiel im Fürstentum aus dem Uefa-Cup-Wettbewerb verabschiedete (2. Runde). Torschütze zum 1:0-Erfolg: der eingewechselte Michael Klinkert (70.).

„Europapokal, das ist unvergleichlich, die Atmosphäre — einmalig“, sagt Torwart-Legende Uwe Kamps, der in 20 Spielen dieses internationale Flair zu spüren bekam.

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