Mangelnder Schwimmunterricht : Wird Deutschland ein Land der Nichtschwimmer?
Bad Nenndorf (dpa) - Es ist die dunkle Seite des Super-Sommers: Seit Jahresbeginn kamen schon mehr als 300 Menschen beim Baden ums Leben. Zu den Todesopfern zählten mehr als 20 Kinder unter 15 Jahren und über 40 junge Frauen und Männer zwischen 16 und 25 Jahren.
Wird Deutschland ein Land der Nichtschwimmer?
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) beklagt schon seit längerem Bäderschließungen, fehlenden Schwimmunterricht an Grundschulen sowie mangelndes Engagement der Eltern, ihren Nachwuchs bis zum Schwimmabzeichen Bronze zu bringen. Flüchtlinge stellen laut DLRG eine besondere Risikogruppe dar, denn in vielen Herkunftsländern gehört das Schwimmenlernen nicht zum Aufwachsen dazu.
Im Fössebad in Hannover trainieren sieben junge Männer aus Afghanistan, dem Irak, Sudan und der Elfenbeinküste die Brusttechnik - erst mit Schwimmkissen, die mit Seehunden und Seepferdchen bedruckt sind, danach mit orangefarbenen Schwimmnudeln. Die meisten von ihnen machen eine Ausbildung. Warum verbringen sie ihren Feierabend im Hallenbad? „Es ist wichtig für mich, schwimmen zu lernen“, betont Hassan aus dem Sudan. „Schwimmen ist Alltagsleben in Deutschland.“ Noch lehnt der 23-jährige angehende Altenpfleger es ab, wenn Freunde ihn zu einem Nachmittag am See einladen. Aber nach dem Kurs will er es wagen. Seit drei Jahren lebt Hassan in Hannover, in seiner trockenen Heimat habe man höchstens nach dem Regen mal in einer Art Pfütze baden können, erzählt der Sudanese.
Hassans Trainerin Sandra Rother gibt seit zehn Jahren Schwimmkurse - die meisten für Kinder, aber auch für Frauen. „Erwachsene machen sich oft zu viele Gedanken. Das beste Alter, um schwimmen zu lernen, ist ungefähr fünf Jahre“, sagt die 48-Jährige, die den Kurs gemeinsam mit ihrer 22-jährigen Tochter Diandra leitet. In den Kinderkursen beobachtet Sandra Rother zunehmend motorische Schwierigkeiten - die Kleinen erzählen sich untereinander auch mehr von den neuesten Tablets und Smartphones als vom Klettern auf Bäume. „Die Eltern geben gerne die Verantwortung ab“, meint sie. „Viele Kinder waren vor dem Kurs noch nie in einem Schwimmbad.“ Sie befürchtet, dass die Situation sich weiter verschlechtert. „Heute können auch viele Eltern nicht richtig schwimmen und vermitteln die Angst vor dem Wasser.“
Rund ein Viertel aller Grundschulen in Deutschland hat keinen Zugang mehr zu einem Schwimmbad. Der Bundeselternrat plädiert für eine länderübergreifende Initiative für mehr Schwimmunterricht.
„Die Politik muss ihre Aufgaben wahrnehmen und für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen. Hierzu gehören ausgebildete Lehrkräfte ebenso wie entsprechende Lehrschwimmbecken“, sagt der Verbandsvorsitzende Stephan Wassmuth.