Verfassungsschutzbericht Gegen Hetze: Reul fordert „Vermummungsverbot im Internet”

Düsseldorf · Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für NRW warnte der Innenminister nicht nur vor rechter Gewalt, sondern auch der ungehinderten Verbreitung der Gedanken, die ihr zugrunde liegen. Er will, dass Menschen im Netz nur noch unter Klarnamen unterwegs sein dürfen.

 Reul stellte den Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2018 vor.

Reul stellte den Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2018 vor.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Der Mordfall Walter Lübcke ist in den Augen von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) beispielhaft für eine Entwicklung, die er auch im eigenen Bundesland beobachtet: „Der Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen ist gewalttätiger und vernetzter geworden.“ Die Radikalisierung gehe im Internet immer schneller voran und bilde den Nährboden solcher Taten. Er fordert deshalb „ein Vermummungsverbot im Internet“. Sprich: Menschen, die ihre Meinung kundtun, sollen das nur unter Klarnamen dürfen. Reul stellte am Mittwoch in Düsseldorf den Verfassungsschutzbericht 2018 für NRW vor.

Rechtsextremismus:

Die Zahlen sind weitgehend konstant: Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten stieg um drei von 3764 auf 3767, die Zahl der Gewalttaten von 206 auf 217. Mit 3255 registrierten Rechtsextremisten lag die Zahl sogar unter dem Vorjahr (2017: 3280), darunter gelten 2000 als gewaltbereit. Laut Verfassungsschutzchef Burkhard Freier werden 14 Rechtsextremisten als Gefährder geführt, allerdings weitere 120 als Intensivtäter, die immer wieder Straftaten begehen.

Reul treibt vor allem das Beispiel Lübcke um. „Die Verbindungen nach Nordrhein-Westfalen werden intensiv geprüft“, versprach er. Aber es gehe ihm auch generell um Menschen wie den mutmaßlichen Täter, die glaubten, mit ihrer Gewalt „einen gerechten Kampf ums Überleben“ zu führen. „Wir müssen gegen diesen Irrsinn ein Rezept finden“, forderte der Innenminister.

Das Problem beim Rechtsextremismus liege nicht bei der Anzahl von Fällen: „Gefährlich sind nicht nur die Taten, sondern auch die Gedanken“, glaubt Reul. Die Ideologien kämen heute „geschmeidiger daher“ und seien deshalb so gefährlich. Der Minister sprach von „Hitlerjungen in Hipsterklamotten“, die in gefährlicher Weise die Demokratie zu unterwandern versuchten und letztlich Täter wie im Fall Lübcke oder den Attentäter von Christchurch antrieben: „Sie sind Mittäter. Sie säen Hass und ernten Gewalt.“

Um das Problem der Ermittler zu verdeutlichen, nannte Reul ein Beispiel: Jeden Tag würden allein auf Youtube 720.000 Stunden neuen Videomaterials hochgeladen - zehn Ermittler mit einer 40-Stunden-Woche bräuchten zur Sichtung dieses Materials 40 Jahre. „Wir müssen aufpassen, dass wir technologisch den Anschluss nicht verpassen“, warnte Reul und fordert deshalb, dass Nutzer im Internet nur noch unter ihrem Klarnamen unterwegs sein dürfen. Auch der Zugriff auf die IP-Adressen müsse erleichtert werden. Er wisse, dass dies „vermintes Gelände“ sei. Zudem seien weiterhin die Provider im Netz gefragt, Hass-Posts zu „löschen, löschen, löschen“, so Reul: „Da ist offensichtlich noch Luft nach oben.“

Intensiv beobachtet werden in NRW aber nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Gruppen, wie die Gruppe „Combat 18“ mit Schwerpunkt in Dortmund, deren Mitglieder zwar offiziell im einstelligen Bereich liegen, aber sehr gewaltbereit und waffenaffin seien. Reul begrüßte, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein bundesweites Verbot prüft. Ebenfalls in Dortmund sitzt die Partei „Die Rechte“ mit 280 NRW-Mitgliedern, die klar „neonazistische Propaganda“ betreibe. Reul kündigte an: „Wir werden klare Kante zeigen.“

Islamismus:

Ein Drittel aller Salafisten deutschlandweit lebt laut Reul in NRW. 1500 wurden noch 2013 verzeichnet, aktuell seien es 3100 - davon laut Verfassungsschutz 890 gewaltbereit. Die Szene sei im Umbruch, so der Innenminister: Hätten vor einigen Jahren Missionierung und die Organisation von Ausreisen in Kampfgebiete im Vordergrund gestanden, sei es jetzt das Sammeln von Geldern durch sogenannte Hilfsorganisationen - zwei Millionen Euro seien in Deutschland 2018 akquiriert worden.

Besondere Sorge bereitet den Sicherheitsbehörden der mit 18 Prozent hohe Anteil von Frauen, die insbesondere ihren Einfluss auf die Kinder nutzen - zum Teil sogar in islamistischen Hinterhofkitas, die privat organisiert werden: „Da werden die Extremisten von morgen großgezogen“, befürchtet Reul.

Ebenfalls im Fokus steht der sogenannte legalistische Salafismus, der in der Mitte der Gesellschaft agiere, „aber mit einer zutiefst verfassungsfeindlichen Ideologie“, so Verfassungsschutzchef Freier. Bestes Beispiel sei die Muslimbruderschaft mit bundesweit einigen hundert Mitgliedern, aber wohl einer sehr viel größeren Anhängerschaft. Sie sein „europaweit vernetzt, verfügt über sehr viel Geld“. Und auch Ansehen, sie kooperiere oftmals etwa mit der türkischen Ditib. Den vermuteten Einfluss auf den Zentralrat der Muslime in Deutschland hält Freier für „groß“. Ziel der Bruderschaft sei eine Unterwanderung der Gesellschaft, letztlich ein Staat mit der Scharia als Verfassung und Rechtsnorm. Für die Demokratie seien diese legalistischen Salafisten langfristig gefährlicher als islamistischer Terror.

Linksextremismus:

Gegen den Bundestrend stieg in NRW die Zahl der linksextremistischen Straftaten leicht von 1374 auf 1394, die Zahl der Gewaltdelikte deutlich von 191 auf 447. Als Grund nannte Reul den Streit um den Hambacher Forst. Man beobachte, dass linksextremistisch beeinflusste Gruppen, zu denen er das Bündnis „Ende Gelände“ zählte, mit den friedlichen Schülern der Fridays-for-Future-Demos vermischen wollten und warnte diese eindringlich: „Haltet Abstand!“ Wer Polizisten mit Kot überschütte oder Brandsätze werfe, der sei kein Klimaschützer, sondern Straftäter.

Antisemitismus:

Die Zahl der antisemitisch motivierten Gewalttaten stieg von sechs im Jahr 2017 auf 16. Viel mehr Sorge äußerte Reul aber darüber, dass viele Juden sich in Deutschland offensichtlich nicht mehr sicher fühlten. Das sei für ihn „unerträglich“. Es gebe ein hohes Maß an antisemitischer Diskriminierung, die im Alltag und unterhalb der Strafbarkeitsgrenze abspiele.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort