Analyse: Rüttgers und sein linkes Image

Der NRW-Ministerpräsident gilt in der CDU als Sozialpapst. Mit der realen Politik von Schwarz-Gelb im Land hat das wenig zu tun.

Düsseldorf. Am Anfang war ein großes Wort: "Ich bin der Chef der Arbeiterpartei in NRW." So sprach Jürgen Rüttgers am 23. Mai 2005, einen Tag, nachdem er für die CDU die SPD-Bastion Nordrhein-Westfalen geknackt hatte. In der Tat hatte laut Wahlanalysen die Mehrzahl der Arbeiter, die überhaupt noch wählen gingen, bei der Union ihr Kreuz gemacht und sich der SPD in weiten Teilen verweigert.

Seither hält sich in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit der Eindruck, Rüttgers stehe für die linke CDU, sei so etwas wie der Sozialpapst der Partei. Gerade aus der Berliner Perspektive gilt er als das soziale Gewissen der Partei, als derjenige, der die Prinzipien des rheinischen Kapitalismus ("Es muss fair und gerecht zugehen") hochhält und der ein Gegenpol zu den Erzkonservativen wie Roland Koch oder Friedrich Merz ist. Rüttgers lebt von diesem Image gut, aber es ist in weiten Teilen ein Missverständnis.

Der politische Zögling Helmut Kohls regiert in NRW mit der FDP. Die Koalitionspartner haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie ihr Bündnis als Gegenentwurf zunächst zu Rot-Grün, später zur Großen Koalition in Berlin sehen. "Wir sind die Blaupause", sagt auch Rüttgers.

Schließlich war das auch der Wählerauftrag für das bürgerliche Lager. Die Mehrheit hatte nach 39 Jahren die Nase voll von der SPD. Rüttgers und die FDP wurden im Wahlkampf nicht müde, den Abschied von dem sozialdemokratischen Kuschelstaat zu verkünden. "Leistung muss sich wieder lohnen, Schluss mit der Gleichmacherei", lauteten die Parolen. Ein großer Wahlsieg war die Belohnung.

Entsprechend energisch und schnell liefen die Koalitionsverhandlungen. Innerhalb von vier Wochen war das Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre festgelegt - es gilt unverändert. Davon wurde bereits umgesetzt oder ist derzeit in der Mache: das Zentralabitur, das Abitur nach zwölf Jahren, die Auflösung der Grundschulbezirke, die Einführung von Sprachtests für Vierjährige, die Auflösung der staatlichen Versorgungsverwaltung, die Einschränkung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, die Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigung der Stadtwerke, der Verkauf der rund 100 000 landeseigenen Wohnungen, eine Liberalisierung des Sparkassengesetzes.

Mit Ausnahme der Sprachtests sind dies allesamt Vorhaben, die vom linken Lager bekämpft werden. Nichts entgegen zu setzen haben SPD und Grüne allerdings dem Sparkurs von Rüttgers und seinem versierten Finanzminister Helmut Linssen (CDU). Der hat die Neuverschuldung drastisch zurückgefahren und kann schon bald mit einem ausgeglichenen Haushalt aufwarten. Das ist eine radikale Abkehr von der alten rot-grünen Verschuldungspolitik und nachhaltig im besten Sinne.

Allerdings wurde der Rotstift auch massiv im sozialen Bereich angesetzt. So wurde die Landeshaftung für die Kindergartenbeiträge von Eltern gestrichen. Jetzt hat Rüttgers das Thema Schulmittagessen für arme Kinder entdeckt. Doch die zehn Millionen Euro Landeszuschuss können die Gräben nicht zuschütten, die das Land vorher aufgerissen hat.

Gäbe es in Berlin eine genauere Analyse der Rüttgers-Politik, würde auch auffallen, dass sich dessen markanteste linke Forderung vor allem an die Bundesregierung richtet und ihn nichts kostet. Vor einem Jahr sorgte er mit seiner Forderung nach einer Generalrevision von Hartz IV für ein politisches Erdbeben. Kanzlerin Angela Merkel ließ ihn ins Leere laufen, ein Pro-Forma-Beschluss des CDU-Bundesparteitags schlägt sich bis heute nicht in konkreter Politik nieder, die angekündigte NRW-Bundesrats-Initiative steht bis heute aus.

Die Gewerkschaften halten nichts vom selbst ernannten Arbeiterführer Rüttgers. Sie trommeln zum Widerstand gegen Schwarz-Gelb in NRW. Denn die Koalition macht eben die Politik, für die sie gewählt worden ist. Alles andere ist Propaganda.

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