Doppelte Staatsangehörigkeit Die verfehlte Doppelpass-Debatte

Düsseldorf. In Deutschland herrschte seit den 80er Jahren zumindest unter den Parteien weitgehende Einigkeit, dass es ein Interesse an mehr Einbürgerung geben müsse, um nicht große Bevölkerungsgruppen über Generationen außerhalb der staatlichen Gemeinschaft leben zu lassen — und damit auch außerhalb der Loyalitätspflichten ihr gegenüber.

Doppelte Staatsangehörigkeit: Die verfehlte Doppelpass-Debatte
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Zwischen CDU/CSU und FDP auf der einen, und SPD und Grünen auf der anderen Seite gab und gibt es sehr gegensätzliche Auffassungen darüber, was eine Einbürgerung sein soll: Während das bürgerliche Lager die Überreichung der Staatsbürgerschaft stets als krönenden Abschluss einer erfolgreich verlaufenen Integrationsgeschichte betrachtet hat, sahen und sehen SPD und Grüne sie als Voraussetzung für politische Teilhabe an. Von diesem Gedanken ist auch der Vorstoß der rot-grünen NRW-Landesregierung geprägt, Nicht-EU-Ausländern künftig ein kommunales Wahlrecht einzuräumen.

Hinter dem symbolischen Gesetzes-Vorstoß (er wird an CDU und FDP scheitern), der an diesem Freitag im Landtag zur Abstimmung kommt, steckt unausgesprochen auch der Versuch, die Deutschen dazu zu erziehen, die zumindest teilweise rechtliche Gleichrangigkeit von Migranten anzuerkennen — ohne sie zu fragen, ob sie das überhaupt wollen.

Der mitgliederstarke CDU-Bezirk Niederrhein, der von Mönchengladbach bis Kleve reicht, hat am vergangenen Wochenende beschlossen: „Dieses Gesetz fördert nicht die Integration von Menschen von außerhalb der EU, sondern führt gerade zu einer Entfremdung und zur weiteren Verstärkung ausländischer Politik in Nordrhein-Westfalen.“ Und: „Es ist absolut naheliegend, dass ein solches Wahlrecht die Tür für eine Erdogan-Partei in Deutschland öffnen würde“, so der Bezirksvorsitzender, der Mönchengladbacher Bundestagsabgeordnete Günter Krings.

Die SPD in Nordrhein-Westfalen sieht das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer ausdrücklich als Erweiterung der Doppelstaatlichkeit und als deren konsequente Fortsetzung an. Im gerade beschlossenen Wahlprogramm heißt es dazu wörtlich: „Mehrstaatigkeit ist gelebte Realität in NRW und gehört zum Selbstverständnis einer modernen Einwanderungsgesellschaft. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft eingeschränkt oder gar abgeschafft wird. Im Gegenteil: Mit der Abschaffung der Optionspflicht haben wir einen wichtigen Schritt erreicht. Aber noch immer sind zu viele Bürgerinnen und Bürger von der doppelten Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Das wollen wir ändern. Mit uns ist außerdem klar: Wir brauchen endlich ein kommunales Wahlrecht für langjährig hier lebende Bürgerinnen und Bürger mit ausländischem Pass.“

Während SPD und Grüne keine Mehrheit für ein kommunales Nicht-EU-Ausländerwahlrecht zusammen bekommen, das ohne Verfassungsänderung nicht zu erreichen ist, haben CDU und CSU keine Option, eine Mehrheit für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft zu erreichen. Die einzigen politischen Kräfte, mit denen die CDU sich in diesem Ziel einig ist, sind die AfD — und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der ja genau das von der CDU behauptete Integrations-Scheitern will, um seinen Einfluss auf traditionell konservative Auslands-Türken zu behalten.

Erdogan dürfte die Rückkehr zum Optionsmodell gerade dann gefallen, wenn die SPD-Diagnose seiner Integrations-hemmenden Wirkung zutrifft: Es signalisiere den betroffenen Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind, „dass sie nicht vollständig dazugehören, sondern lediglich Deutsche unter Vorbehalt sind“, so die SPD-Bundestagsfraktion 2014 nach dem Wegfall des Optionszwangs, der „ihre Verwurzelung in unserer Gesellschaft in Frage“ stelle.

Genau diese Frage stellen sich aber derzeit viele Deutsche angesichts der Zustimmung, die Erdogan unter Türken in Deutschland genießt. Eine demokratische Gesellschaft kann in grundsätzlichen Fragen auf Dauer keinen Pluralismus von Loyalitäten und ethisch-politischen Normen zulassen. Um so schmerzlicher fällt auf, dass es praktisch keine Demonstrationen gut integrierter Türken gegen Erdogan in Deutschland gibt.

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