Harte Folgen Das passiert bei einem harten Brexit

Brüssel · Elf Wochen vor dem Brexit ist immer noch unklar, wie Großbritannien und die Europäische Union getrennte Wege gehen. In vielen Bereichen droht Chaos. Ein Überblick.

Ein pro-europäischer Demonstrant trägt eine britische und eine EU-Fahne bei einer Kundgebung gegenüber dem Parlament.

Ein pro-europäischer Demonstrant trägt eine britische und eine EU-Fahne bei einer Kundgebung gegenüber dem Parlament.

Foto: dpa/Jonathan Brady

Ohne Austrittsabkommen würde Londons Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und der Zollunion schlagartig am 29. März 2019 enden. In vielen Bereichen droht dann Chaos.

REZESSION UND ABSTURZ DES PFUNDES

Der britische Unternehmerverband CBI rechnet bei einem harten Brexit ohne Abkommen mit einem Einbruch der Wirtschaft. Sie könnte demnach um bis zu acht Prozent schrumpfen, was entsprechend Jobverluste und geringere Steuereinnahmen bedeutet. Die Bank von England erwartet einen Absturz des Pfundes um 25 Prozent. Auch der Immobilienmarkt würde schwer getroffen. Die Zentralbanker gehen von einem Fall der Hauspreise um 30 Prozent aus.

EXPORTE BRECHEN EIN

Die britische Exportwirtschaft würde nach Einschätzung des Kreditversicherers Euler Hermes im ersten Jahr Ausfuhren im Wert von 30 Milliarden Pfund (33,2 Milliarden Euro) verlieren. Auch die Kontinentaleuropäer würden wegen der engen Wirtschaftsbeziehungen getroffen. Größte Verlierer in der EU wären laut Euler Hermes die deutschen Exporteure mit acht Milliarden Euro.

KONTROLLEN ALLERORTEN

Alle Waren und Personen müssen vor dem Überschreiten der EU-Grenzen wieder kontrolliert werden. Allein der deutsche Zoll will 900 zusätzliche Beamte einstellen. Um wenigstens im Reiseverkehr das Schlimmste zu verhindern, will die EU-Kommission Briten "Visa-freies Reisen" für bis zu 90 Tage ermöglichen - falls London dies umgekehrt "allen EU-Bürgern gewährt".

LKW-SCHLANGEN VOR DEN HÄFEN

Die nach dem EU-Austritt nötige Zollabfertigung bei Warenlieferungen stellt Häfen vor große Probleme. Die Grenzformalitäten könnten für lange Warteschlangen von Lastwagen sorgen. Im Hafen von Dover dauert die Lkw-Abfertigung derzeit zwei Minuten. Nur zwei Minuten mehr würden laut Betreiber Staus von 27 Kilometern verursachen.

Die britische Regierung hat deshalb für über 100 Milliarden Pfund Fährkapazitäten in andere Häfen gechartert, um Dover zu entlasten. Zudem ließ die Regierung mit 89 Lkw testen, wie mit Parkflächen auf einem stillgelegten Flughafen vor Dover Mega-Staus verhindert werden können.

VERSORGUNGSENGPÄSSE

Wegen drohender Lieferengpässe "horten" britische Unternehmen bereits Importware, die sie für ihre Produktion dringend benötigen. Laut Euler Hermes gibt es "Hamsterkäufe wie nach einer Sturmwarnung". Inzwischen sind in Großbritannien aber kaum mehr Lagerflächen zu bekommen, da auch Supermärkte und Pharmakonzerne sich auf Versorgungsengpässe vorbereiten und Lebensmittel und Medikamente auf Vorrat kaufen.

FLUGZEUGE AM BODEN

Bei einem No-Deal-Brexit würden viele Airlines ihre Lizenzen verlieren, um von und nach Großbritannien zu fliegen. Die britische Regierung will europäischen Airlines deshalb vorübergehend Sondergenehmigungen ausstellen, sofern britische Fluggesellschaften diese auch von der EU bekommen. Auch für die EU-Kommission gehört der Luftverkehr zu den "vorrangigen Bereichen" für Notfallmaßnahmen.

AUTOPRODUKTION LAHMGELEGT

Die Autoindustrie arbeitet heute quasi ohne Lagerhaltung. Zulieferer stellen Teile "just in time" bereit, die direkt nach Ankunft verarbeitet werden. Mit Wartezeiten wegen der Zollabfertigung wird dies kaum möglich sein, wie der europäische Autoherstellerverband Acea warnt. Unternehmen arbeiten deshalb an Notfallplänen. BMW kündigte bereits an, die jährliche Schließung seines britischen Werks für den Mini zu Wartungszwecken direkt auf die Zeit nach dem Brexit zu verlegen.

MILLIARDENLOCH IM EU-HAUSHALT

In der EU hätte der Brexit nicht nur für die Wirtschaft und im Reiseverkehr Folgen. Denn in ihrem Haushalt würden dann 2019 und 2020 Milliardenbeträge fehlen, die Großbritannien bisher wegen der nach dem Brexit geplanten Übergangsphase zahlen würde. Haushaltskommissar Günther Oettinger müsste dann womöglich durch die Bank geplante EU-Ausgaben etwa für Landwirte oder Forschung kürzen oder Vorhaben verschieben.

(AFP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort